DIE GRÜNDUNG POTSDAMS

Zu der Zeit, als der mächtige Wilzan, der in der festen Burg zu Dragowit wohnte, über die Wilzen an der Spree und Havel herrschte, bedeckte den ganzen Potsdamer Werder ein uralter Eichenwald, durch welchen sich von der Gegend des Heiligen Sees bis zu Havel am Lustgarten und von Glienicke her bis nach der Stadt Werder ein tiefes unzugängliches Bruch zog, über welches im Frühling das Wasser der Havel strömte und den ganzen Werder in drei langgestreckte Inseln teilte. Am meisten bewohnt war die nördlichste von ihnen. Denn in der Gegend von Bornim und Eichow und am Pfingstberg lagen zerstreute Gehöfte, welche zum Distrikt der Wublitz gehörten, über welche auch der Krul oder Unterkönig der Heveler herrschte.

Die kleine Insel an der Havel war wenig breiter als der Teil der Stadt, welcher jetzt wieder durch den Kanal zu einer Insel gemacht wird, und nur ihr östliches Ende, der Mündung der Rudow gegenüber, war mit einzelnen Fischerhütten besetzt, deren Bewohner zwar weit und breit die Seen und Arme der Havel befuhren, welche damals noch reich an Stören, Lachsen und Welsen waren, selten aber durch die Sümpfe und Wälder drangen, von denen ihr Wohnplatz im Norden umschlossen war.

Wo jetzt die Kirche des Dorfs Alt-Geltow steht, war eine feste Burg des Krul der Heveller erbaut, in welcher er einen Teil des Jahres zu wohnen pflegte, um von hier aus in den großen Wäldern am Schwielowsee, die reich an Uren, Bären und Wölfen waren, zu jagen, oder den wilden Schwan mit dem gelben Schnabel, wenn er auf seinen Frühlings- und Herbstzügen sich auf den weiten einsamen Wasserbecken niederließ, listig zu locken und zu fangen. Ein hoher doppelter Erdwall umgab einen fast runden Raum, aus dem sich ein turmartiges Gebäude, aus rohen Feldsteinen und Baumstämmen dick und unförmlich zusammengesetzt, erhob. Nur eine leichte, schnell einzuziehende Brücke führte über den trockenen Graben zwischen den Wällen, und außer der kleinen, festen Tür waren keine Öffnungen im Turm, welche von der Erde aus zu erreichen gewesen wären. Denn erst in bedeutender Höhe sah man die schmalen, sich nach innen und außen erweiternden Einschnitte angebracht, durch die das Licht in die niedrigen, nur mit Waffen und dem Gehörn des Urs und Geweihen des Hirsches gezierten Räume dringen konnte, und höher hinauf die schwarzen Löcher, aus welchen der Rauch seinen Weg fand, der von dem mächtigen Feuer emporstieg, das fast beständig auf den breiten Steinherden in allen bewohnten Gemächern brannte.

Der Krul war ein wilder, grausamer Mann, besonders seit sein einziger Sohn in einem Kampf mit den Deutschen gefallen war, zu welchem ihn der Ober-Kriwe wider seinen Willen vermocht hatte, als jener eben das fünfundzwanzigste Jahr erreichte. Zum Erben seiner Macht hatte er zwar seinen einzigen Verwandten erwählt und hielt streng darauf, daß diesem gleiche Ehre wie dem Sohn erwiesen wurde. Aber sein Herz blieb dem Jüngling fremd und selten, nur bei feierlichen Opfern und Festmahlen, sah man diesen in seiner Nähe. Je älter der Krul wurde und je weißer sein Haar, desto einsamer lebte er in seiner Halle, und selbst die langen Winterabende verbrachte er allein auf seinem Lager von Tierfellen am knisternden Feuer; ja sogar in demselben Haus war er ungern mit dem jungen Chocus zusammen, der, ein rüstiger Jäger und Fischer, im Kreis seiner muntern Gesellen fröhlich und sorgenlos die Tage verlebte.

Einmal, als Chocus auf der Wolfsjagd gewesen war, fuhr er spätabends im Frühling von Templin in einem Kahn nach Hause zurück. Das Wasser war hoch, und der Wind stürmte aus Westen. Als sie fast den Wentorf erreicht hatten, verlor der Knecht das Ruder, und sie mußten mit ihren Spießen sich fortzubewegen suchen. Der Sturm trieb sie aber zurück; schon wurde es dunkel, und nachdem sie lange hin und her geworfen waren, trieben sie endlich an einer kleinen Insel fest. Hier suchten sie Schutz gegen den Sturm hinter dem Schilf und schliefen ein.

Als der Fürst am Morgen erwachte, gewahrte er nahe bei sich einen Kahn, darin saß eine Fischerin, welche ein Netz ausgeworfen hatte und sang. Das Mädchen aber war so schön, daß er gar nicht wieder von ihm wegsehen konnte. Als die Fischerin jedoch den fremden, reich gekleideten Mann erblickte, war sie sehr erschrocken und stieß mit dem Kahn vom Ufer ab. Chocus ging ihr nach und sprach so schöne Worte, daß sie dem Mädchen zu Herzen gingen; und als er so gar eigen mit den dunklen Augen in ihre schönen blauen Augen blickte, da folgte sie seinen Wünschen, kam ans Land und dachte den ganzen Tag nicht wieder daran, wegzufahren.

Am Abend aber schifften sie alle drei über den Fluß und landeten da, wo jetzt die Heiligegeist-Kirche steht. Der junge Fürst hieb mit seinem Schwert Zweige von den alten Eichen, und sie bauten sich eine Hütte. Dort lebten sie viele Monate in dem schönen grünen Eichenwald, bis Schnee fiel. Da sagte ihr Chocus, wer er sei, und daß sie die Frau des Kruls werden sollte, wenn auch sein Oheim das reichste Königskind für ihn gewählt hätte. Die schöne Fischerin aber war so glücklich, daß sie sich nicht darüber freuen konnte.

Als nun das Moor zugefroren war, ging er über das Eis nach der Burg zu Geltow und gelobte, nach drei Tagen wiederzukommen mit Roß und Gefolge und sie heimzuführen. Als er jedoch in die Burg kam, war der Krul gestorben. Der Kriwe hatte das Volk versammelt am Opferstein und die Zeichen gedeutet, darauf hatte das Volk des Ober-Kriwen Sohn zum Krul der Heveller gewählt. Der Kriwe aber war bei dem neuen Fürsten in der Burg, und als nun Chocus kam mit seinem Knecht, ließ er ihn in einen tiefen Kerker werfen, ohne Luft und Speise, damit er umkomme. Dieser jedoch öffnete ihm in der zweiten Nacht die Tür, und er floh zu dem Wilzan nach Dragowit. Der nahm ihn freundlich auf und hätte ihn gern in sein Erbe gesetzt, doch fürchtete er den Ober-Kriwen, der großen Einfluß unter dem Volk der Heveller hatte. Chocus aber schämte sich, zu dem Wilzan von der Fischerin zu sprechen, und wenn er trauerte, glaubte der Fürst, es sei um die verlorene Herrschaft.

Am neunten Tag jedoch konnte er es nicht mehr ertragen vor Angst und Sehnsucht, er entdeckte dem Wilzan alles, und dieser und sein Gefolge begleiteten ihn zu der Insel an der Havel.

Als sie aber über den tiefen Schnee nach der Hütte unter den Eichen kamen, fanden sie das schöne weiße Mädchen starr und tot. Von der Stunde an hat der junge Held nie wieder gelacht, sein dunkles Auge erlosch und sein Haupt wurde weiß wie Schnee.

Der Wilzan schenkte ihm die drei Inseln zum Eigentum. Da baute er sich eine Burg auf der Stelle, wo die Hütte stand, und nannte sie Poztupimi, d. h. unter den Eichen. Weil er ein gar guter Herr war, sammelten sich viele Einwohner auf dem Werder, der nach ihm Chocie genannt wurde, und bald entstand ein kleiner Ort um die Burg. Oft erwähnen alte Chroniken den Volkstamm der Chocini und erzählen mancherlei von deren Anhänglichkeit und Liebe zu ihrem Fürsten.


Quelle: Reinhard, Sagen, Seite 18ff.