DER GOTTLOSE ARMENVOGT

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts lebte in Bremen ein Armenvogt; der hatte seine Herzensfreude, wenn er Einen ins Halseisen schließen konnte und war überglücklich, wenn ihm der Herr Camerarius einen Bettler und Herumtreiber zu diesem Behuf überantwortete; und hätte er Mittelmaaß gehalten, er hätte diese Lust haben können all sein Lebelang. Das Einschließen war sein einziger Gedanke, und wenn er einem armen Manne begegnete, so faßte er ihn scharf ins Auge, nicht um zu erforschen, ob er auch wohl betteln ginge und strafbar wäre, sondern wie er sich ausnehmen würde im Halseisen. Ja, seine Leidenschaft verblendete ihn zuletzt ganz und gar, daß er auch, unbekümmert um die Folgen, aufs Gerathewohl und ohne des Herrn Camerarius Wissen die Leute einschloß, wie sie ihm zusammen zu passen schienen. Er hatte die Gewohnheit, immer zwei Mann neben einander zu stellen, und da er die Gegensätze liebte, so konnte er, hatte er den einen fest, an einem halben Dutzend Vagabonden vorbeilaufen, ohne ihnen ein Haar zu krümmen. Bemerkte er dann endlich einen Menschen, der ihm gahtlich und passend schien, so half kein Bitten und Sträuben; der Armenvogt war ein kräftiger Bursche, und der Andere mochte schuldig oder unschuldig sein, er mußte in's Eisen. Gerd pflegte es aber so zu halten, daß er, wenn er einen Kurzen und Dicken hatte, einen Langen und Magern daneben schloß, wobei er es denn einzurichten wußte, daß der Lange sich bedeutend bücken mußte, während er den Kleinen dergestalt befestigte, daß er gezwungen war, sich auf den Fußzehen in die Höhe zu richten und den Hals übermäßig zu verlängern, wollte er nicht ersticken.

Da hatten denn die Vorübergehenden ihr Gelächter über das seltsame Schauspiel, und der Armenvogt stand bescheiden neben seinem Werk und betrachtete es als eine belobende Anerkennung seiner Laune, wenn die Leute sagten: »der Gerd Geeloge ist doch ein gottloser Strick.«

Aber der Krug geht so lange zu Wasser bis er bricht, und diese Erfahrung machte auch Gerd.

Denn es begab sich einst, daß er den großen Cord Lange stehen hatte und ängstlich umherlief, um das Gegenstück zusuchen; er war in Verzweiflung, daß sich nichts finden wollte. Da kommt mit einem Male ein Bauer die Straße herauf, an dem Gerd auch nicht das Geringste auszusetzen findet. Derselbe hatte dicke rothe Backen und war so breit wie lang. Aber lang war er eigentlich gar nicht und hätte bequem unter dem großen Cord weglaufen können.

Ihn sehen und greifen war eins bei Gerd, und vergebens sträubte sich der Dicke seinem handfesten Widersacher zu entgehen, der ihn die Straße entlang zerrte.

Da bog unversehens der Herr Camerarius um die Ecke und fragte Gerd voller Erstaunen, was er mit seinem Meier zu schaffen habe. Erschrocken ließ der Angeredete seinen Raub fahren und bat demüthig um Verzeihung für seine Eigenmächtigkeit. Er habe es nicht gewußt, daß der Bauer des Herrn Camerarius Meier sei; er habe ihn bloß aus Gottlosigkeit einschließen wollen. Der Camerarius war aber nicht gesonnen, dergleichen unzeitige Gottlosigkeit und Scherz zu dulden und ließ den Gerd Geeloge in den Hurrelberg setzen.


Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845, Erster Band, Nr. 7