Blumenstrauß, Dornstrauch.
Eine Frau, die in der Frühe des Morgens zum Waschen gehen wollte, erwachte um Mitternacht, und da die ganze Straße in heller Mondbeleuchtung dalag, glaubte sie, es sei schon spät und Zeit, aufzubrechen.
In demselben Augenblick, wo sie vor dem Hause auf der Langenstraße anlangte, wohin sie bestellt war, öffnete sich die Thüre, und heraustrat die Hausfrau im weißen Feierkleide, warf mit freundlichem Lächeln der Frau einen herrlich duftenden Blumenstrauß in ihr Armkörbchen und rauschte, ohne weiter ein Wort zu sprechen, an ihr vorüber, die Straße hinauf nach dem Markte zu.
Erstaunt blickte ihr die Wäscherin nach, bis sie an der Straßenecke ihren Augen entzogen war. Sie wunderte sich sehr, wohin wohl die Dame so allein in der einsamen Mondnacht gehen möchte, und wartete noch ein Viertelstündchen, ob sie nicht wieder zurückkommen würde. Aber sie kam nicht und nun trat die Frau ins Haus, um an ihre Arbeit zu gehen.
Es war öde und finster in der Hausflur und Niemand zu ihrem Empfange bereit. Sie tappte sich also nach der Schlafstelle der Mägde hin, die unter der Treppe war, und fand sie im tiefsten Schlaf. Als sich dieselben mit Mühe ermuntert hatten, vernahmen sie mit Erstaunen, daß die Herrin schon ausgegangen sei und standen eilig auf, da sie glaubten, die Zeit verschlafen zu haben.
Als sie Licht gemacht hatten, sahen sie mit Verwunderung auf der Hausuhr, daß es erst zwölf Uhr sei. Nun glaubten sie, daß die Wäscherin sie mit ihrer Erzählung habe aufziehen wollen, und gingen zu der Kammer der Hausfrau, um sich desto besser zu überzeugen, fanden aber die Thür verschlossen.
Sie wußten nun nichts anzufangen, da die Herrin den Schlüssel zur Wäschekammer hatte, und die Wäscherin sah ein, daß es am Gerathensten sein würde, vorläufig wieder zu Hause zu gehen; auch die Mägde gingen einstweilen wieder zu Bett.
Als die Waschfrau die Glocke fünf schlagen hörte, machte sie sich wieder auf den Weg, und als sie jetzt ins Haus trat, fand sie die Hausfrau, wie sie in einfacher häuslicher Kleidung ihre Anordnungen für den heutigen Tag machte. Die Wäscherin war neugierig, was die Dame schon um Mitternacht ins Freie getrieben habe und spielte auf den Spaziergang an, indem sie ihren Dank für den herrlichen Blumenstrauß abstattete, den sie sogleich aus ihrem Korbe hervorsuchte.
Die Dame machte aber ein zorniges Gesicht, drückte der Frau einen Thaler in die Hand und befahl ihr, nicht weiter von der Sache zu reden.
Da wußte die Hausfrau, was die Glocke geschlagen hatte, und als
sie nun endlich den Blumenstrauß aus ihrem Korbe hervorzog, fand
es sich, daß es nichts als ein elender Dornstrauch sei.
Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845, Zweiter Band, Nr. 1