BREMER ROLAND

Auf dem großen und weiten Marktplatz zu Bremen steht eine uralte Rolandsäule, die ist das Zeichen der Freiheit dieser Stadt, die nimmer vergehen soll, solange das alte Heldenbildnis steht. Die Sage geht, daß für den Fall, daß je ein Naturereignis den Roland niederstürze, im Ratskeller noch ein zweiter Roland als Ersatzmann aufbewahrt werde, und müsse solches jedoch innerhalb vierundzwanzig Stunden geschehen, sonst sei es getan um die Bremer Freiheit. Am Rolandbilde steht diese Schrift:


Friheit do ick ju openbar
Da Carl vn mannig fürst vorwar
Deser stadt gegefen hat,
Deß danket Got, ist min rath.


Unten aber am Rolandbilde wird die Figur eines Krüppels erblickt als ein Wahrzeichen, an welche Figur diese Sage geknüpft ist. Es war eine Gräfin von Lesmon, die war reich an Land und Gütern und besaß eine ausgedehnte stattliche Weidefläche. Da es nun dem Stadtrat an einer solchen gebrach, ward sie angegangen durch des Rates Abgeordnete, ihm ein Stück davon kauf- oder lehenweise abzutreten. Da nun darüber die Gräfin mit den Herren Gespräches im Freien pflog, kroch ein äußerst lahmer Krüppel heran und bat die reiche Gräfin um ein Almosen. Dieses dem Krüppel darreichend, sprach die Gräfin lächelnd zu den Ratsverwandten: Ich will der guten Stadt Bremen von meiner Weide so viel zum Geschenk machen, als dieser Lahme in einem Tage umkriechen kann. Sie meinte damit nicht allzu viel zu verschenken, und der Rat meinte auch nicht zu viel zu erlangen, denn das Kriechen des armen Krüppels war gar jämmerlich anzusehen - aber als ihm nun guter Lohn verheißen ward, so fing der Krüppel an so munter und rasch zu kriechen, daß jedermänniglich sich verwunderte, denn er war, obschon lahm, ganz stark von Knochen und von rüstiger Kraft, und so umkroch er die ganze große Bürgerweide, die noch heute der Stadt Eigentum ist. Der hohe Rat bedankte sich bei der Gräfin auf das schönste, verpflegte den Krüppel lebenslänglich auf das beste und ließ zum ewigen Andenken dessen Bild unterm Bilde der Stadtfreiheit, am großen Roland, anbringen.


Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853