DREIFACHER NONNENMORD, DURCH EINE MAGD ENTDECKT
Im Jahr 1052 wohnte der Bürgermeister Cord von Gröpelingen in dem Eckhause an der Obern- und Kreyenstraße. Die Gesindestube lag nach hinten hinaus an der Letzteren. Es war ein unfreundlicher Octoberabend, und der Sturm pfiff unheimlich durch die enge Gasse unter dem Fenster her. Da fuhr eine der Mägde, welche beim hellen Schein der Lampe spannen, in die Höhe; es fiel ihr plötzlich schwer aufs Herz, daß sie die kupfernen und zinnernen Geschirre, die sie des Nachmittags so blank geputzt hatte, auf dem Hofe vergessen habe, wo sie leicht gestohlen werden konnten. Da richtete sich des Bürgermeisters alter gefälliger Diener langsam auf von der Bank, um ihr diese Arbeit abzunehmen und holte Kessel und Pfannen ins Haus. Er war froh, als er das Geschäft vollendet hatte; denn draußen war es sehr rauh, es wehte ein starker Wind und rabenschwarze Wolken zogen rasch durch die Luft, gleich einem dräuenden feindlichen Heere.
»Hier ist es besser« - hub er an, nachdem er wieder in die Stube getreten war und seinen frühern Platz auf der Bank eingenommen hatte. »Hier ist es besser als draußen und ich bedaure jeden Christenmenschen, der bei diesem Unwetter unterwegs sein muß.«
Da lachte die jüngste von den Mägden, eine rasche Bauerndirne, die erst vor Kurzem nach der Stadt gekommen war; sie meinte, wer nur nicht auf verbotenen Wegen gehe, den brauche es nicht zu kümmern, ob es heller lichter Tag sei oder dunkle Nacht; sie sei von der Geest gebürtig, wo die Häuser in weiter Entfernung von einander lägen. Da sei es ihr mehr als einmal begegnet, daß sie sich bei ihres Vaters Schwester verspätet; aber dennoch habe sie lieber in der dicksten Finsterniß zu Hause gehen, als die Ihrigen durch ihr gänzliches Ausbleiben beunruhigen wollen.
»In heller, warmer Stube und unter vielen Menschen hat sich schon Mancher großer Thaten gerühmt,« sagte spöttelnd der Diener. »Ich möchte aber einmal sehen, wenn Dich Jemand beim Worte nähme, mein vorlautes Jüngferlein.«
»Die Nacht,« erwiederte das Mädchen bescheiden, aber doch mit Festigkeit, »ist keines Menschen Freund, und ich spräche Unwahrheit, wenn ich sagen wollte, daß mir eine solche nächtliche Wanderung besonderes Vergnügen gewährt. Mag ich indeß damit einen neuen Rock gewinnen, so bin ich erbötig, noch diesen Abend eine ferne Botschaft auszurichten, die wenigstens eine Stunde Zeit erfordert.«
»Gut,« sagte der Diener, der das rechte Mittel gefunden zu haben glaubte, ihr mit einem Schlage die Sache zu verleiden. »Du erhältst von mir morgen einen Rock, so schön er bei dem Meister Jeremias zu haben ist, wenn du also gleich hingehst zur Gerichtsstätte bei dem Jungfrauenkloster und bringst mir das Barett des armen Sünders, der neben dem Galgen auf dem Rade liegt.«
Er hoffte, der Rabenstein und die Nähe des Todten sollten ihr alle Lust benehmen, und dann wollte er sich recht lustig machen über ihre Prahlerei.
Aber er hatte sich gewaltig verrechnet; denn das Mädchen erhob sich in freudiger Eile, nahm die Andern zu Zeugen der Wette und entfernte sich mit schnellen Schritten. Der Bürgermeister hörte das Knarren der Hausthüre und fragte seinen Diener, wer so spät das Haus verlassen habe.
Der erzählte denn, wessen sich die Magd unterfangen, und der Herr lächelte über das kühne Wagniß und meinte, sie werde wohl bald wieder umkehren; denn nimmer werde sie sich getrauen einen Ort zu betreten, vor dem auch wohl ein beherzter Mann zu dieser Stunde zurückbeben möge.
Das Mädchen aber befahl Gott und der Jungfrau Maria ihr Beginnen und ging getrosten Muthes die Obernstraße hinunter, wo sie bald ins freie Feld gelangte; denn die Stephansstadt war noch nicht gebaut, und gerade auf dem Hügel, wo sich jetzt die Kirche erhebt, stand das Diebesgericht oder der Galgen, dem zum Gedächtniß noch heutzutage jener ganze Stadttheil das Galgenviertel pflegt genannt zu werden.
Trotz ihrer Herzhaftigkeit konnte sie sich des Grauens nicht erwehren, als sie zum Hochgericht hinanstieg; denn es rührte und regte sich oben, und sie vernahm von Zeit zu Zeit ein Scharren im Sande, wie wenn der arme Sünder heruntergestiegen sei von seinem luftigen Sitz, um sich bei dunkler Mitternacht ein Grab zu machen. Sie hielt unwillkührlich inne und schaute verstohlen nach der Stadt zurück. Dabei tönte es in der Luft wie lautes Wehklagen und Schmerzgeschrei und Todesröcheln; aber das verhallte rasch im Winde, und nun faßte sie sich ein Herz.
Denn sie fühlte wohl, wenn sie noch einen Augenblick zaudere, daß sie, von Grausen überwältigt, so nahe am Ziele die Flucht ergreifen müsse. Sie hörte schon im Geist das Hohngelächter des Knechts und der Mägde, ihr Ehrgefühl siegte über die Furcht, und mit wenigen Schritten stand sie am Rade. Da sah sie denn, daß die Ursache jenes verdächtigen Geräusches ein Pferd gewesen, welches dort angebunden stand; das war unruhig und scharrte mit den Vorderfüßen ungeduldig am Boden. So wie es die Magd neben sich bemerkte, drängte es sich, wie hülfesuchend, an dieselbe, und es war deutlich, daß das edle Thier ein Grauen empfand an dem unheimlichen Orte.
Während sie den Hals des Rappen streichelte, schaute sie hinauf nach dem armen Sünder. Der war ein mächtiger Räuber gewesen sein Lebelang und hatte die Umgegend weit und breit in Schrecken gesetzt. Nur durch List war man seiner habhaft geworden; denn die stärksten Männer, welche gegen ihn ausgezogen waren, ihn zu fangen, hatte er mit leichter Mühe überwältigt und todtgeschlagen. Jetzt aber war er still und friedlich an seinem Ort und ließ sich ruhig das Barett abziehn von der Hand einer schwachen Magd.
Da stand sie nun mit dem Siegeszeichen im Arm am Rabenstein; vor sich den Todten, dessen entfesseltes Haar sich im Winde hob und das bleiche Leichenantlitz peitschte; neben sich den gespenstigen Gaul, der immer unruhiger und zudringlicher wurde; über sich hoch in den Lüften erneute Klagetöne und das Wimmern eines Sterbenden - und dennoch machte sie keine Anstalt zum Fortgehn.
Denn sie war ein Weib; die Neugier siegte über alle Schrecken der Umgebung, und sie beschloß, nicht eher von dannen zu gehen, bis sie erkundet, wessen das Pferd sei, und was es mit dem nächtlichen, unheimlichen Treiben an der andern Seite des Hügels für eine Bewandniß habe.
Da das Gewölk sich verzogen hatte, und die Sterne sich zeigten am dunklen Nachthimmel, so wurde es etwas heller und es war ihr vergönnt, die Gegenstände in einiger Entfernung zu unterscheiden. Um nicht gestört zu werden in ihrer Beobachtung, hielt sie sich hinter dem Pferde verborgen und sah nun, wie ein Seitenpförtlein im Kloster sich aufthat, und eine Nonne hervorging, zu der sich bald ein Mannesbild gesellte. Sie schlugen vereint die Richtung nach dem Hochgericht ein und schienen traulich mit einander zu kosen.
Da sah man plötzlich das Glänzen einer blanken Wehr im Sternenschimmer, ein dumpfer Schrei ertönte, die Nonne brach zusammen, und der Räuber stürzte sich auf seine Beute, wie der Habicht auf die Taube.
Als die Magd die Gräuelthat verüben sah, da sträubte sich das Haar der Lauscherin, und sie hätte beinahe ihre Fassung verloren. Nun war ihr einziger Gedanke, diesem entsetzlichen Aufenthalt so schnell wie möglich zu entrinnen, und mit einem raschen Griff hatte sie das Pferd losgebunden; sie schwang sich hinauf und ritt der Stadt zu. Sie hatte nicht nöthig, das Thier zur Eile anzutreiben; denn es floh aus eigenem Antriebe den Schreckensort und führte in ungeheuren Sätzen seine leichte Bürde zu den Wohnungen der Menschen.
Im Hause ihres Brotherrn war man indessen in der gespanntesten Erwartung. Zu Anfang erwartete man immer noch, die Magd werde sich doch besinnen und in Kurzem umkehren. Als sie aber eine Stunde wegblieb und noch eine, da wurde man ihretwegen besorgt, und der Bürgermeister, der ebenfalls wach geblieben war, um den Ausgang zu erwarten, machte dem Diener Vorwürfe, daß er mit der Herzhaftigkeit eines schwachen Mägdleins ein freventliches Spiel getrieben.
Da brauste es plötzlich die Obernstraße herauf; aber es war nicht das Sausen des Windes, sondern Pferdegetrappel, das sich mit reißender Schnelle näherte. In wenigen Augenblicken hielt der Reiter gerade vor des Bürgermeisters Hause still, und Alles stürzte an die Thür, um das neue Abenteuer zu schauen, und zu sehen, was der späte Bote noch bringe. Da schwang sich die Magd leicht herunter vom Pferde und hielt den Staunenden freudig das Barett entgegen.
»Ich habe die Wette gewonnen,« rief sie, »und morgen bekomme ich den neuen Rock.«
»Den sollst du haben, du kühne Magd, und ich für meinen Theil lege noch ein neues Wamms dazu,« sagte Herr Cord. »Nun aber sprich, was hat es mit dem Pferde für eine Bewandniß?«
Als sie nun die nächtliche Frevelthat erzählt hatte, da befahl der kluge Herr, das Thier in den Stall zu bringen. Am Morgen wolle man es vor der Hausthür anbinden, dann werde der Mörder sich schon einstellen, um sein Eigenthum zurückzufordern.
Und so geschah es. Am folgenden Morgen trat ein Mann ins Haus von wildem Aussehen, der ein großes Bündel unter dem Arm trug und ohne viele Umstände sein Pferd zurückverlangte. »Es ist mir,« - sagte er trotzig - »diese Nacht entlaufen, und ich danke Euch, daß Ihr es eingefangen und an die Straße gebunden habt, so daß ich es ohne große Mühe habe wiederfinden können.«
So hatte er sich selbst, ohne daß er es wußte, als den Mörder angegeben, und die Gerichtsdiener, welche im Hause des Bürgermeisters waren verborgen gehalten, traten hinzu und legten ihn in Fesseln. Als er sich verrathen sah, gestand er die schwarze That ein; er hatte nach einander drei Klosterjungfrauen beredet zur Flucht mit ihren besten Schätzen, und sie dann alle drei erwürgt, beraubt und in den Sand verscharrt.
Er erhielt den verdienten Lohn. Das Kloster aber wurde dieses Vorfalls wegen von seiner vorigen Stelle nach Lilienthal verlegt.
Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen,
Bremen 1845, Erster Band, Nr. 9