Die junge Hexe muß verbluten.
Eine arme Wittwe, die an den Wochentagen immer sehr früh ihren Geschäften nachging, pflegte ihr einziges Töchterlein der Hauswirthin in Aufsicht zu geben. Die lag dann gewöhnlich noch im Bette und nahm die Kleine zu sich herein. Die Mutter glaubte, sie könne nicht besser aufgehoben sein.
Auf diese Art verging manches Jahr, und das Mädchen wuchs allmählig heran. Da begab es sich einst, an einem Sonntagmorgen, wo die Mutter zu Hause zu sein pflegte, daß das Töchterlein gar sehr in sie drang, ihr die Stunde ihrer Geburt zu offenbaren, und wer ihr Pathe gewesen sei. lieber diese Fragen wunderte sich die Mutter und verlangte den Grund davon zu wissen. Da erzählte das Mädchen wie die Hauswirthin jede Nacht, sobald die Mutter nur das Haus verlassen habe, mit ihr zu Tanz und Spiel gegangen sei. Dort habe sie einen feinen, jungen Herrn kennen gelernt, der mit großem Eifer auf die Beantwortung jener Fragen dringe; denn ehe er solches nicht wisse, habe er gesagt, könne es nimmer geschehen, daß aus ihnen Beiden ein Paar würde.
Die Mutter wurde bei dieser Eröffnung äußerst nachdenklich und beschloß zuerst, die Hauswirthin darüber zur Rede zu stellen. Allein sie bedachte sich bald eines Bessern und wandte sich an ihren Beichtvater. Den wandelte ein gerechtes Grauen an bei dieser Erzählung; denn er sah im Augenblick, daß die Hauswirthin eine Hexe und das Kind ihr Zögling sei. Als aber die Mutter anfing zu weinen über der Tochter Verderben, und wie es anzufangen sei, sie von dem Sündenwege zurückzuführen, da schüttelte der Pastor nachdenklich das Haupt. Jetzt machte sich die Frau auf das Aeußerste gefaßt, und als der Pastor ihre Stimmung sah, eröffnete er ihr den einzigen Ausweg in dieser Sache. Er sagte ihr, daß es schon zu spät sei, um an eine Besserung des Mädchens noch denken zu können; sie sei schon durch und durch Hexe, und das letzte Mittel, das Hexenthum in ihr auszurotten, wäre, daß man sie langsam verbluten ließe.
Wie schrecklich dieser Vorschlag auch dem Mutterherzen sein mochte, die
Frau willigte gefaßt ein, ob dadurch die Seele vielleicht noch zu
retten wäre.
Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845, Zweiter Band, Nr. 4