DAS WUNDERHORN

Jene Jungfrau, welche ums Jahr 989 dem Grafen Anton I. von Oldenburg auf dem Osenberge das Trinkhorn überreichte, mag auch in der Nähe der Stadt Bremen ihr Wesen getrieben haben. Mit dem genannten Horn aber hat es folgende Bewandniß.

Der Graf hatte sich in der Hitze des Jagens von seinem Gefolge verirrt; er wünschte sich einen Trunk, weil es sehr warm war. Da öffnete sich plötzlich ein Sandhügel, und heraus trat ein schönes Mädchen; sie überreichte dem Dürstenden ein, mit Getränk angefülltes, Horn und versprach ihm dabei Einigkeit und Gedeihen in seiner Familie, wenn er es leeren würde.

Dem Grafen kam die Sache nicht geheuer vor; trotz des verzehrenden Durstes, welcher ihn plagte, enthielt er sich doch des Trinkens, und während er auf seinem Schimmel von dannen sprengte, goß er den Inhalt des Geschirrs rückwärts auf sein Thier. Bald darauf fand er seine Diener und ritt mit ihnen nach Oldenburg, wo denn bei genauer Untersuchung sich ergab, daß dem Pferde von der Schärfe des Getränks das Haar ausgegangen war.

Dies Trinkgeschirr wurde noch lange Jahre hindurch in Oldenburg als ein großes Kleinod den Begehrenden mit Ueberreichung eines Trunks Wein gezeigt; es war mit wunderbaren Figuren, Bildern und unbekannten Wappen, in Gestalt eines Jägerhorns, künstlich gebildet. Die Bestandtheile desselben haben die Goldschmiede anfänglich für Gold mit einem Zusatz von Silber gehalten; als aber nachgehens ein Fuß davon zerbrochen, hat man befunden, daß es sich nicht hat schmelzen lassen, ja gar kein Feuer annehmen wollen, daher es auch kein Künstler hat anfügen, noch auch erkennen mögen, wovon dies Horn gemacht sei. Es wurde insgemein das oldenburgische goldene Horn genannt, hatte inwendig einen starken Geruch, der ihm nicht zu benehmen stand, daher der Trunk etwas widerlich fiel.

In der Folgezeit ist es nach Kopenhagen gekommen.


Quelle: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845, Erster Band, Nr. 10