Adalbert, Erzbischof von Hamburg.
(1043-1072.)
Nachdem um Ostern
1043 zu Bücken im Hoya'schen Herr Alebrand, der vielgeliebte Erzbischof
von Hamburg und Bremen, "das irdische Pascha mit den himmlischen
ungesäuerten Broten" vertauscht hatte, wurde in demselben Jahre
Herr Adalbert, geborener Graf von Wettin, zuvor Domprobst zu Halberstadt,
sein Nachfolger. Das erzbischöfliche Pallium empfing er durch Gesandte
des Papstes Benedict IX., worauf seine Ordination zu Aachen Statt hatte,
in Beisein Kaiser Heinrichs III. und seiner Reichsfürsten, mittelst
Einsegnung durch zwölf Bischöfe. Nachdem er sodann Bremen besucht
hatte, wandte er sich und seine Thätigkeit der Hamburgischen Kirche
zu.
Erzbischof Adalbert hegte für seine Hauptstadt Hamburg eine große
Liebe, und allemal residirte er hier, so oft seine vielen Kirchen- und
Staats-Geschäfte und seine dem Kaiser und Reiche gewidmeten Dienste,
die ihn zu unaufhörlichen Reisen zwangen, dies gestatteten. Und da
von der Hamburgischen Kirche aus seit deren Gründung das Christenthum
im ganzen Norden verbreitet worden war, ob zwar unter unsäglichen
Kämpfen und Märtyrerthum so vieler heiliger Sendboten, so nannte
Adalbert Hamburg "die gesegnete Mutter aller Völker des Nordens",
welcher er um so freudiger Liebe und Ehrerbietung zolle, und um so eifriger
hülfreiches Sorgen darbringe, je näher der Feind stehe, der
ihre Herrschaft seit Jahrhunderten gleichsam wie ein Sieb durchlöchert
habe. Und um deswillen bauete er später das Castell auf dem Süllenberge
bei dem heutigen Blankenese.
So lange diesseits der Elbe Friede war, pflegte der Erzbischof alle Oster-
und Pfingst-, auch wohl Mutter-Gottes-Feste in Hamburg zu feiern, wo er
in der Burg seiner Vorgänger, der Wiedenburg, Hof hielt und in der
Domkirche das Hochamt selbst verwaltete. Zur Verherrlichung dieser hohen
Feste zog er aus allen Stiften seinen beiden Diöcesen eine Menge
von Geistlichen, zumal solche, die durch eine schöne Stimme in Predigt
und Gesang die erwecklich zu erbauen verstanden. Und da er die Dienerschaft
der Hamburgischen Kirche in großer Vollständigkeit erhielt,
auch nichts sparte, um die gottesdienstlichen Handlungen sowohl mit innerer
Würdigkeit als mit äußerem Glänze ausführen
zu lassen, so mag wohl zu keiner Zeit der Kirchendienst in Hamburg in
seiner so herrlichen Weise versehen sein, als unter Adalbert. Und besonders
viel hielt er auf den Chorgesang, den er in nie gekannter Weise einführte,
und oft ließ er während dreier Messen, denen er beiwohnte,
zwölf Litaneien absingen. Er mochte Alles, in geistlichen und weltlichen
Dingen, groß sehen, erhaben, bewundernswerth. Darum erfreute sich
sein Gemüth an dem wallenden Weihrauch der Specereien, an der Pracht
der Heiligen Gefäße und Gewänder, an dem blitzenden Glänze
der tausend Kerzen, an dem mächtigen Eindrucke des volltönenden
Chorgesanges. Und diese äußerliche Pracht, deren heilsamen
Einfluß auf die Gemeinde er wohl kannte, begründete er überdies
durch die Herrlichkeit des Herrn und Seines Tempels, wie sie im Alten
Testamente geoffenbart ist; wie er denn sonst Vieles, was den Leuten fremd
erschien, nicht anders als in Uebereinstimmung mit der heiligen Schrift
gethan hat.
Erzbischof Adalbert war ein Mann von ungewöhnlich großen Gaben
und Gnaden. Bei einer vollkommenen Körper-Schönheit und Kraft
vereinigte er sich so viele Tugenden und Vorzüge des Geistes wie
des Gemüthes, daß es nur dem unglücklichen Gange der Weltbegebenheiten,
wie einem einzigen Fehler seines Charakters, zuzuschreiben ist, wenn er
sein hohes Ziel: - die Erhebung der Hamburgischen Kirche zum Patriarchat
über Nord-Europa zum Gegengewicht des Papstthums in Rom, nicht erreicht
hat, was für ganz Deutschland gewiß die wichtigsten, segensreichsten
Folgen gehabt haben würde. Er war verständig, gelehrt, weise,
besaß eine wunderbare Gedächtnißkraft und hinreißende
Beredtsamkeit; er war mäßig und keusch, großmüthig,
und freigebig, wie es einem Fürsten so wohl ansteht, über alle
Maaßen; ein Freund des Gebens, ein Feind des Empfängern; kraftvoll
im Ausfuhren der hochstrebenden Entwürfe seines großartigen
Geistes; demüthig vor Gott, mildfreundlich gegen Geringe, Arme und
Pilger, denen er oftmals knieend Abends die Füße wusch in demüthiger
Nachfolge unsres Heilandes; aber stolz und gebieterisch gegen die Großen
und Mächtigen dieser Welt. Und mit dieser letzten Eigenschaft hängt
auch der einzige Fehler zusammen, den er anfangs hatte, ein Fehler, aus
dem später so viele andere zum Unheil seiner selbst entsprangen:
die ruhmsüchtige Eitelkeit,
diese "vertraute Hausmagd der Großen und Reichen", wie
sein Bremischer Dom-Scholaster, Magister Adam, sie nennt. Und dennoch
opferte er Eitelkeit und Ruhmsucht seinem hohen Ziele willig auf, als
er im Jahre 1046 zum Papste erwählt werden sollte; er lehnte nämlich
diese höchste Würde ab und veranlaßte es, daß Suidger
(als Clemens II.) den römischen Stuhl bestieg. Der Hamburgische Erzbischof
war aber damals so mächtig, daß er den Dänenkönig
Swend Estridson, der seine nahe Blutsverwandte Gunhilde von Schweden geheirathet
hatte, wirksam in den Bann thun konnte.
Adalbert's bitterster Feind aber war Herzog Bernhard von Sachsen, der
Billunger, welcher, wenn er zu Hamburg weilte, in der von ihm auf den
Trümmern des alten Castells Karl's des Großen erbauten Alsterburg
residirte. Nicht allein die Eifersucht des Landesherrn war die Ursache
solcher Feindschaft, auch des Herzogs persönlicher Haß traf,
wiewohl mit Unrecht, den Erzbischof. Denn als Bernhard's Bruder, Graf
Dietmar, dem Kaiser Heinrich III, bei Lismona (Leesum bei Bremen) einen
hinterlistigen Ueberfall zu bereiten trachtete, wurde dieser durch Adalbert's
Treue geschützt und des Empörers Verrath vereitelt; und als
Dietmar, vor den Kaiser geladen, zum gerichtlichen Zweikampfe verurtheilt
wurde, erlag er in demselben nach Gottes Fügung seinem Gegner, dem
kaiserlichen Hauptmann Arnold, am 3. October 1048. Dess' zur Rache und
Sühne ließen Dietmar's Söhne den Arnold fangen und mit
heidnischer Schimpflichkeit ihn bei den Beinen zwischen zwei Hunden aufhängen,
für welchen Frevel der Kaiser sie mit ewiger Verbannung strafte.
Und wegen dieser traurigen Begebenheiten, die doch nicht unverschuldet
das herzogliche Haus trafen, verfolgten Bernhard und seine Söhne
den Erzbischof, dessen Angehörige, ja selbst die Kirche, mit nie
endender Feindschaft.
Auch außer den hohen Festen weilte Adalbert zur Sommerszeit oft
mondenlang in Hamburg, der ihm so theuren Stadt. Hierher beschied er die
Gesandten der nordischen Völker, hier empfing er die Besuche der
Fürsten und Dynasten der Germanischen wie der Slawischen Stämme,
sprach ihnen Recht und schlichtete ihre Streitigkeiten. Er that in Hamburg
Allen wohl, die ihm naheten; die Bürger ehrte er und förderte
neben dem geistigen auch ihr irdisches Wohl, wo und wie er nur konnte;
zum Ausbau der Stadt gab er willig Vorschub; den wachsenden Verkehr erleichternd
legte er eine eigene Münzstätte an; und was er Gutes und Löbliches
in fremden Landen gesehen, das trachtete sein thätiger Geist dem
noch halb barbarischen Vaterlande anzuzeigen. Sogar Gärten und Weinpflanzungen
ließ er auf dürrem Haideboden in Hamburgs und Bremens Umgegend
anlegen. Aber dies, wie manch' anderes viel Bedeutsameres, was der Natur
des Landes und der damaligen Bewohner widerstritt, blieb ein vergebliches
Bestreben des großen Mannes, dessen guter Wille so oft dem bösen
Geschicke unterlag.
Kummer und Widerwärtigkeit, Undank der Welt, sogar seiner Freunde
Abfall, Feindschaft aller Orten, Kränkungen seines unsäglichen
Stolzes. - dies alles machte ihn mißgestimmt, hart, zornmüthig.
Wo sonst sein Edelsinn verzieh, da waltete nun sein Eifer mit verderbender
Strenge. Und doch blieben im Grunde seines Herzens Mitleiden gegen Arme
und Bedrängte, und Freigebigkeit gegen alle Bedürftige, so mächtig
in ihm, daß derselbe Mann, der im Zorne wie ein Löwe geflohen
wurde, in guten Stunden sanft war wie ein Lamm und zu jedem Opfer bereit.
Aber während er von Schmeichlern und Schmarotzern umringt, nur Lobpreisungen
seiner Größe und Würdigkeit vernahm, während Wahrsager,
Traum- und Zeichendeuter (die sein hoher Geist hätte verachten müssen)
seinen schrankenlosen Wünschen die eitlen Trugbilder nahender Erfüllung
vorspiegelten, sank mit stets wachsendem Verfalle der irdischen, auch
seine geistige Hoheit und Tugendherrlichkeit immer tiefer. Zwar ließ
er noch immer den zehnten Theil seines ganzen Einkommens den Armen und
Kranken zuweisen, zwar hielt er noch täglich offene Tafel für
Jedermann, aber schon war Wohlthun und Gastfreiheit bei ihm mehr Sache
der Eitelkeit als des Herzens. Beim reichen Mahle, das er selbst kaum
berührte, zeigte die Bitterkeit der Witzworte, die er der geistreichen
Unterhaltung einmischte, den trüben, kranken Zustand des einst so
klaren, frommen Gemüthes und seines Geistes zunehmende Verfinsterung,
die nur zuweilen ein heiteres Saitenspiel auf Augenblicke zerstreuen durfte,
während er die den gemeinsamen Haufen ergötzenden Gaukeleien
der Mimen verabscheute.
Doch zuletzt brach wohl sein starrer Stolz, wozu nach seiner eigenen Erzählung
ein wunderbares Gesicht beigetragen hat, das er erlebte. Er sah sich nämlich
um Mitternacht in der Domkirche zu Hamburg mit seinen vierzehn Vorgängern
im Bisthum feierlich die Messe begehen. Erzbischof Alebrand, der die Mysterien
vollzog, wandte sich nach Verlesung des Evangelii den Anwesenden zu, um
deren Opfer zu empfangen, und als er an Adalbert kam, wies er mit strengem
Blicke und diesen Worten dessen Gabe zurück: Du hochgeborner, vornehmer
Mann kannst mit uns geringen Leuten nichts gemein haben. Worauf das Gesicht
endete. Und als er mit tiefstem Schmerze der Heiden Siegesgewalt, der
Christen Verfolgung und Abfall, ja selbst der Geistlichen Entartung warnahm,
als er vergebens gegen der Laien wie der Priester Verderbtheit eiferte,
da weinte Adalbert der Große heiße Thränen, die wohl
theils dem Verfall der eigenen Macht, den kommenden Strafgerichten und
der Gefährdung der heiligen Kirche, aber auch seinen begangenen Fehlern,
die dazu mitgewirkt hatten, gegolten haben mögen.
Aus seiner Hamburgischen Diöcese, wo er geliebt und verehrt wurde,
durch blutdürstige Heiden vertrieben, die das mühsame Werk so
vieler heiliger Männer und eins der wichtigsten Bollwerke der Christenheit
zertrümmerten, war der Abend seines Lebens düster umwölkt.
Eine vom Germanischen Drudengeiste beseelte Wahrsagerin verkündete
allem Volke und ihm selbst sein nahes Ende, aber noch hörte er lieber
auf die Lügenpropheten seines Hofes. Daß in Bremen und anderen
Orten die heiligen Kreuze Thränen schwitzten, daß Hunde und
Schweine die Altäre entweihten, daß das Geheul der Wölfe
mit dem der Uhus bis in die geängstete Stadt Hamburg drang: es verkündete
des Erzbischofs Ende und unsägliche Trübsal für seine Diöcese;
und Hamburgs zweimalige Zerstörung im Sterbejahre Adalbert's des
Großen hat es wahr erwiesen.
Er aber erkrankte schwer zu Goslar am Harze, wo er dennoch thätig
wirkte für den Kaiser Heinrich IV., den einzigen Menschen, dem seine
Seele mit väterlicher Liebe und treuester Hingebung anhing, den er
erzogen hatte, der sein Glück war wie sein Schmerz! Dieser allein
durfte den Sterbenden besuchen, dessen großer Geist den schwachen
Körper so standhaft aufrecht erhielt, daß kein Klagelaut, kein
Seufzer seinen Lippen entflohen ist. In den letzten Stunden hat er viel
gelitten, viel gebüßt, viel göttliche Gnade empfangen.
Gott mißt mit anderem Maaßstabe als wir Menschen. Er starb
am 16. März 1072 und hinterließ außer Büchern und
Reliquien nichts als allein bei den Armen und Kranken untröstliche
Trauer über seinen Verlust. Seine Leiche ward nach Bremen gebracht
und im Chore der von ihm erbauten Domkirche bestattet. Denn sein Wunsch,
in der Mutterkirche zu Hamburg beerdigt zu werden, konnte nicht erfüllt
werden: Hamburg war eine Beute der Heiden.
Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten
und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 12