Der Bardowiker Gerechtsame.
(1189.)
Als Ao. 1189 Heinrich
der Löwe, Herzog von ganz Nieder-Sachsen, die alte und große
Stadt Bardowik lange Zeit erfolglos belagert und eben zwei Tage lang vergeblich
gestürmt hatte, da verirrte sich ein Stier ins Lager, von dem erkundet
wurde, daß er der Stadt-Bulle von Bardowik sei. Hierauf wurde nun
ein Anschlag, in die wohlverwahrte Stadt zu kommen, gegründet; man
ließ den Bullen frei gehen und folgte seiner Spur. Er sah sich kaum
ungehindert, als er der Heimath zutrabte, die Wälle und Gräben
umging, bis zu einer ihm wohlbekannten seichten Stelle, die er durchwatete,
und dann durch zerbröckeltes Mauergestein einen schmalen Weg in die
Stadt fand. Da dies erkundschaftet war, ließ Herzog Heinrich zum
Sturm blasen, erstieg an jener Stelle den Wall und eroberte so Bardowik;
und da er einen grimmigen Zorn gegen die so lange aufsässige Stadt
hatte, so zerstörte er sie völlig und ließ kaum einen
Stein auf dem ändern. Denn bis auf den Dom wurden die übrigen
neun Kirchen der Stadt und alle Häuser niedergebrannt, und auf dem
Trümmerhaufen schrieb der Herzog die Worte "Vestigia Leonis",
des Löwen Spuren!
Es heißt aber,
Herzog Heinrich wäre deshalb so ergrimmt auf die Stadt gewesen, weil
die Bardowikerinnen ihm höchst despectirlich begegnet seien, als
er vor den Thoren gestanden. Da sollen sie vom Walle aus ihn verhöhnt
und ihm nicht ihre beste Seite gezeigt haben, sondern den Rücken
und was darunter sitzt, über welche unmanierliche und unehrbare Verspottung
der Herzog sich dann gewaltig entrüstet habe. Dies bezeugt ein alter
Niedersächsischer Chronist, der auch Ehrbare Rathsherren an jener
häßlichen Verunglimpfung theilnehmen läßt und hinzufügt:
"Da dat de Hertog sach, da word he erst grimmig als en Leu."
Die Bardowiker haben sich von diesem Unglück und einer nochmaligen
Einäscherung 200 Jahre später nie wieder zur Höhe einer
Stadt erheben können, und sind beim Dorf oder Flecken stehen geblieben;
einen Dom und ein Stift giebt's noch da und viele alte Erinnerungen, z.
B. städtische Straßennamen da, wo's jetzt nur Feldwege zwischen
den Aeckern und Gemüsegärten giebt u. dergl. Und gleich nach
der Zerstörung haben sie sich in die Zeit geschickt, Großhandel
und städtische Nahrung aus dem Sinn geschlagen, und sich stark auf
den Gemüsebau verlegt, Zwiebeln (Zippollen oder Zippeln, wie sie
sagen), und "junge gehle Wörteln, gröne Petersilje und
Kopp-Salat" u. dergl., und dabei haben sie ihr Absehen auf das emporblühende
Hamburg gehabt.
Und vorerst haben
sie die vielen großen Granit-Quadersteine ihrer Mauern und Häuser,
die ihnen nun nichts mehr nützten, zum Theil an die Lübecker,
größtentheils aber an die Hamburger verkauft, die ihrer bedurften,
und damit ihre Felsen-Vorsetzen am nördlichen Ufer des Eibarmes oder
Flethes vom Oberbaum, am Winserthor, bei St. Catharinen vorbei, längs
der Stadtmauer (bei den Mühren), Kayen bis zum Niederbaum am Scharthor
aufgebaut haben, wie man noch jetzt deutlich wahrnehmen kann, wenn man
darnach suchen und den alten Chroniken nicht glauben will.
Dafür erhielten
die Bardowiker 300 Mark Silbers und das Niederlags- und Verkaufsrecht
ihrer Produkte. Mit solchen "grünen Waaren", zu welchen
aber bekanntlich auch gelbe Wurzeln, rothe und weiße Radieschen,
brauner Kohl und schwarze Rettiche gehören, saßen sie zuerst
Jahrhunderte lang beim Rathhause unter freiem Himmel, woselbst sie weder
Stättegeld noch sonstige Marktabgaben zahlten. Ao. 1537 aber mußten
sie ihren, nun zum Börsenbau bestimmten Platz verlassen, worüber
sie sich bitter beklagten, denn kein treues Gemüth mag von der Stätte
der Vorfahren scheiden. Man wies ihnen damals diejenige Stätte an,
die sie bis 1885 inne gehabt haben: bei der alten, auf den Bardowiker
Quadersteinen erbauten Stadtmauer, zwischen der St. Catharinen-Kirche
und Dovenfleth. Man überließ ihnen hier einen alten Mauerthurm
zur Aufbewahrung ihrer Gemüse. Und als sie an diesem Platze, der
sie aus den heimischen Granitsteinen ganz zutraulich anmuthete, erst warm
geworden waren, da dankten sie den Herren, die sie hierher gewiesen. -
Später mußte der Thurm abgebrochen werden, dafür baute
man ihnen einen Schuppen, wofür sie einige Miethe bezahlen mußten,
was Unlust erregte. Indessen bekam dies Gebäude von den Zipollen
oder Zippeln gar bald den Namen "Zippelhaus" und nach demselben
nannte sich wiederum die ganze Gasse. Und die schönen Bardowikerinnen,
schlanke schüchterne Geschöpfe, mit rothen Tüchern um den
Kopf, die ihr Gemüse so zierlich auf demselben zu tragen verstehen
und dabei in gar melancholischer Melodei (als klänge eine Klage über
Ilions Untergang darin nach) ihre Waaren ausrufen, die wurden natürlich
"Zippelweiber"
genannt.
Ao. 1604 schickte
der Rath zu Bardowik Gesandte hierher, um wegen des Hauses einen neuen
Vertrag mit der Kammer zu machen, wonach diese dafür 110 Mark jährlich
Miethzins bekommt; und 1674 baute man wieder ein neues Zippelhaus, das
seitdem oftmals reparirt werden mußte. Aber die Kämmerei bauet
den armen Bardowikern jedesmal nur ein ganz schlechtes, scheunenartiges
Haus, und das steht doch dicht vor den mächtigen Quadersteinen ihrer
eigenen vormaligen Mauern, so daß sie daselbst gewissermaaßen
auf ihren Trümmern sitzen und immer der alten Herrlichkeit gedenken
müssen. Wie's nun damit werden wird, nachdem das alte Gebäu
den Zollvereinszwecken hat weichen müssen, das steht dahin. Wenn
aber wieder ein neues Zippelhaus gebaut wird, dann möge man ein Uebriges
thun und ein stattliches Gebäu hinsetzen, dessen Bauart an die Geschichte
erinnert, mit allerhand Symbolen und Emblemen.
Aber einen Bullenkopf
dürfte man dabei nicht anbringen, sonst ginge kein Zippelweib oder
-Mädchen in das Haus. Denn dem Stadtbullen von 1189, der durch seine
grenzenlose Dummheit die Stadt verrathen und alles Unheil seitdem verursacht
hat, dem haben's Enkel und Urenkel und alle Nachkommen bis auf den heutigen
Tag nicht vergessen und tragen's ihm nach, und wenn man sie an die alte
Geschichte erinnert und neckweise sich nach des Bullen befinden erkundigt,
so werden die sonst so sanften stillen Frauen zornig und boshaft und ihr
weißes Antlitz wird krebsroth und ihr gutmüthiger Mund schleudert
arge Scheltworte.
Was wußten
wir zehnjährigen Schuljungen von dieser Geschichte und ihrer Bewandtniß?
Uns war nur zufällig zu Ohren gekommen das übliche Stichwort
des Volkswitzes gegen die guten Bardowikerinnen; das mußten wir
natürlich probiren! Ohne Ahnung von dem, was folgen würde, ganz
freundlich und harmlos stellten wir uns vor die Frauen, die bei ihrer
alten Scheuer saßen und fleißig das Suppenkraut pflückten
und Sonstiges vorbereiteten zum morgigen Verkauf, und fragten ganz freundlich:
"Wat makt de Bull von Bardowik?"
Entweder hörten sie's nicht, oder, weil wir guter Leute Kinder und
nicht übel gekleidet schienen, so wollten sie's nicht hören.
Als wir dann aber, ganz dreist und keck, laut ausgerufen hatten den zündenden
Spruch: "Wat makt de Bull von
Bardowik?" Himmel! welch ein Regen
und Hagel von Krautstengeln, schlechten Zwiebeln, Kohlstrünken und
Salatköpfen ließen die erbosten, zornrothen Frauen und Mädchen
unter einer Fluth von gerechten Schmähungen auf uns arme Jungen fallen,
die wir vor Schrecken wie erstarrt und versteinert vor ihnen standen,
bis es uns in die Beine fuhr, daß wir ausrissen aus dem Bereich
ihrer Wurfgeschosse.
Uebrigens geht noch
immer die Sage: sobald im Zippelhause ein Kind geboren werde, das keinen
Vater habe, dann falle das Haus an die Stadt zurück, und mit der
ganzen Bardowiker Gerechtsame sei's rein aus. Solch ein Unglück ist
aber noch niemals vorgefallen.
Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten
und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 18