Das Castell auf dem Süllenberge.
(1063.)
Auf dem bekannten
Süll- oder Süllenberge zu Blankenese bei Hamburg soll in grauer
Urzeit, noch ehe Karl der Große die Veste und Kirche zu Hammaburg
gründete, eine Opferstätte oder sonst ein bedeutsames Heiligthum
der alten Heiden gewesen sein. Einige sagen, die heidnischen Sachsen hätten
hier den Donnergott Thor oder Asathor verehrt, und daher rührten
die vielen spitzen kegelförmigen Donnerkeile her, die man vordem
in den Blankeneser Bergen finden konnte; es wäre also ein Deutsches
Heiligthum gewesen. - Andere erzählen, die heidnischen Wenden
hätten dort gehauset, und einer ihrer Götter habe Wedel geheißen,
der Sonnengott, woher auch der benachbarte Flecken Wedel seinen Namen
habe; und ein Zweig des alten Dynasten-Geschlechtes derer von Wedel, die
noch einen Sonnengötzen im Wappen fuhren, habe hier gesessen. Wieder
Andere meinen, daß die Römer,
als sie unter Julius Cäsar oder Drusus bis an die Nieder-Elbe gekommen,
auf diesem Berge ihrem Römischen Sonnengotte, den sie "Sol"
nannten, einen Tempel errichtet hätten, davon der Name des Sol- oder
Süllenberges entstanden sei. Den Tempel aber habe Kaiser Karl der
Große völlig zerstört. Dem sei nun wie ihm wolle, genug,
bis zum Jahre 1063 war der Süllenberg, wie die meisten Blankeneser
Berge, mit dichter Waldung bedeckt, darin allerlei heidnisches Raubgesindel
haus'te, das die christlichen Hamburger und Holsten plagte und drangsalte
zu Wasser wie zu Lande. In jenem Jahre aber ließ Adalbert der Große,
Erzbischof über Hamburg und Bremen, den Wald umhauen, dann den Süllenberg
befestigen und oben darauf ein starkes Castell erbauen, wohinein er viel
Kriegsvolk legte. Wer weiß, ob nicht mit der Zeit eine mächtige
Siebenhügelstadt dort in Blankenese entstanden wäre, wenn Alles
nach des Erzbischofs großen Planen sich gefugt und geschickt hätte;
denn er dachte: ist aus Karl's Veste und Kirche ein Hamburg geworden,
so kann aus meinem Castell ein Gleiches werden; er hatte im Sinn, ein
Kloster in der Veste zu gründen, und stiftete bereits eine Propstei
daselbst, welcher er das Haupt des heiligen Secundinus, eines der Heerführer
der Legion der Thebaner, schenkte, dessen Reliquien der Erzbischof vordem
in Italien vom Bischöfe von Turin erhalten hatte. Es ist aber doch
nichts daraus geworden, denn des Erzbischofs Leute hatten auf dem Süllenberge
Langeweile, und als sie die heidnischen Räuber vertrieben hatten,
plagten sie die christlichen Beraubten; und statt das Land zu schützen,
trieben sie Wegelagerung und allerlei Muthwillen.
Und unter den Reichsfürsten hatte der Erzbischof Adalbert auch keine
Freunde, weil sie fürchteten, er möchte Patriarch oder gar Papst
von Hamburg und ganz Norddeutschland und allen Ostseeländern werden,
was er auch gewollt haben soll; er wäre wohl der Mann dazu gewesen
und der Kaiser war ihm sehr Freund; das Deutsche Reich wäre vielleicht
dabei so schlecht nicht gefahren, wenn es statt des Römischen
einen heimischen
Papst gehabt hätte. Genug, als nun ein Aufruhr unter dem Volke entstand
wegen der unruhigen Burgleute auf dem Süllenberge, da haben der Herzog
Ordulf von Sachsen und die anderen Fürsten und Herren stille gesessen
und gern zugesehen, wie das Castell belagert, genommen und bis auf den
Grund zerstört worden ist. Und das hat dem Erzbischofwehe gethan
und alle Gedanken an das Papstthum verleidet.
Nachmals, im Jahre 1258, haben die Grafen von Holstein, aus dem Schauenburger
Hause, auf dem Süllenberge ein neues Castell zu bauen beabsichtigt,
bevorstehender Kriegshändel wegen mit dem Erzbischofe von Bremen.
Die Hamburger aber wandten dagegen ihr kaiserlich und gräflich Privilegium
ein, daß nämlich auf zwei Meilen Entfernung von der Stadt keine
Burg oder Festung angelegt werden dürfe. Und da sie kräftig
auf ihrem Stücke bestanden (obgleich der Bischof von Paderborn versprach,
es solle ihnen kein Schade dadurch geschehen), so mußte der Bau
doch unterbleiben, und der Süllenberg blieb, wie er gewesen.
Wie's jetzt auf dem Süllenberge aussieht, weiß Jeder. Wo einst
der Heiden Altar und Heiligthum, dann ein Castell des Erzbischofs stand,
da ist jetzt ein Wirtshaus gebaut, wo's sich gut weilen läßt;
früher war's großartiger, mächtiger, erhabener dort, jetzt
ist's friedlicher, bedeutungsloser, kleiner: das ist der Unterschied der
Zeiten.
Ehe dies Wirtshaus dort gebaut wurde, war der Süllenberg Jahrhunderte
lang ein kahler Haidberg. So hab' ich als Knabe ihn noch gekannt und habe
oft mit ändern Jungen den steilen Kegel erklettert. Oben waren allerlei
Vertiefungen und Löcher, da mochten vormals Schatzgräber zu
Werke gegangen sein, die bei Nacht und Nebel nach des Erzbischofs Schätzen
gegraben. Die wird er aber wohl anderswo verwahrt gehabt, und was da gewesen,
das werden die Zerstörer des Castells wohl zu finden gewußt
haben. Wir fanden dort nur Donnerkeile, alte verrostete Nägel u.
dgl., und meinten jedesmal einen großen Fund zu thun. Aber Peter
Supp aus Blankenese (er ist nun lange todt), der dort als Junge Vieh gehütet
und sich dabei wohl einmal Abends verspätet hatte, der wußte
allerlei Geschichten vom Süllenberg zu erzählen, die er selbst
erlebt oder von seinem Ohm gehört, von den Hünen, die dort mit
Nebelkappen und großen Keulen zur Nachtzeit umherliefen, und vom
Klopfen und Hämmern in der Tiefe der Erde, als sei dort etwas versunken,
was wieder herauf wolle und dergleichen mehr, was wir verlachten, aber
innerlich doch nicht unmöglich fanden.
Nun aber, seit die Wirtschaft sammt Flügelbällen, Theelauben,
Billard und Kegelbahn dort oben ihr Wesen hat, nun mögen wohl die
Hünen gebannt liegen in ihren Gräbern, und die versunkene Pracht
verlangt gar nicht mehr zu Tage. Und höchstens der seltsame Luftzug,
der zuweilen auch beim heitersten Wetter gleichsam von unten die behaglich
plaudernden Gäste anweht, der soll was zu bedeuten haben, nämlich
wie Peter Supp sagen würde: "De Hün', de dreyt sik üm
und ankt und stöhnt!"
Quelle: Otto Beneke,
Hamburgische Geschichten und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 14