Der Esel als Dudelsackpfeifer
In der alten Hamburger Domkirche, die nun schon
lange abgetragen ist, stand seit alters ein merkwürdiger Grabstein,
der als Bild einen Esel zeigte. Aber das Seltsamste an diesem Esel war:
Er stand aufrecht auf den Hinterbeinen und hielt in den Vorderpfoten gar
artig eine Sackpfeife, auf der er anscheinend recht lustig blies. Mit
diesem Esel hatte es aber folgende Bewandtnis:
Ein reicher Kaufmann, der wohl zur Zeit des großen Krieges gelebt
haben mag, vermaß sich einstmals im Übermut, er könne
nie verarmen: Eher möchte ein Esel auf der Sackpfeife spielen, als
daß sein Hab und Gut verloren gehen könne. Aber der Mensch
denkt und Gott lenkt: Ehe er sich's versah, war er ein ganz armer Mann
geworden und mußte in bitterer Not sterben. Da setzte man ihm den
pfeifenden Esel zum Grabstein.
Andere wollen es besser wissen. Sie erzählen, daß der Stein
auf dem Grabe der Gesche van Holten stehe, die einstmals die reichste
Frau in Hamburg gewesen. Zu der kam einmal ein armer Verwandter, um sie
um Unterstützung zu bitten, aber schnöde wies sie ihn ab, und
als er sie an des Glückes Unbestand mahnte, antwortete sie ihm: Eher
kann der Esel auf dem Dudelsack pfeifen als ich arm werden!" Später
ist sie dann so verarmt, daß sie auf ihrem ehemaligen Garten den
Hühnern im Hühnerkorbe das vorgeworfene Brot nachgesucht hat.
Wie sie von dem traurigen Mahle zur Gasse schlich, begegnete sie einmal
einem herumziehenden Possenreißer, der einen tanzenden, Dudelsack
spielenden Esel mit sich führte: Da dachte sie an ihr vermessenes
Wort aus der Zeit ihres Reichtums und erschrak in ihrer Seele. Bald darauf
ist sie gestorben. Ihre Familie hat ihr dann den beschriebenen Stein setzen
lassen, zur Warnung aller derer, die im Glücke schwelgen.
Heute ist der Stein im Museum und den Blicken der Menge entzogen, da wird
auch nicht mehr so viel von ihm erzählt.
Quelle: Burde-Schneidewind, Gisela: Historische Volkssagen zwischen Elbe und Niederrhein. Berlin 1969. Nr. 313