Hans mit Gott
Vor mehreren Jahren wanderte in Hamburg und Altona
ein alter Mann umher, der war blödsinnig und hieß allgemein
Hans mit Gott. Er war in seinen jungen Jahren ein Bleidecker gewesen.
Da ward ihm einst aufgetragen, an dem Turm der Petrikirche in Hamburg
etwas zu reparieren. Aber er ward bei der Arbeit schwindelig und stürzte
hinunter. Gerade in dem Augenblick ging unten ein Jude vorüber, Hans
fiel ihm auf den Kopf, und der Jude war auf der Stelle tot. Er selber
kam zwar mit dem Leben davon, war aber seit der Zeit von der furchtbaren
Erschütterung von Sinnen.
Doch des Juden Anverwandten
wollten den Tod ihres Vetters nicht hingehen lassen und klagten Hans auf
den Tod an. Da wußte der Rat die Sache gar nicht zu entscheiden,
gab aber endlich dieses Urteil: Es sollte ein anderer Jude an derselben
Stelle, wo Hans gearbeitet, vom Turm hinuntergeworfen werden, und Hans
sollte unten vorübergehen, und der Jude sollte ihm auf den Kopf fallen.
Käme der Jude mit dem Leben davon und würde Hans totgeschlagen,
so hätten sie ja ihr Recht; bliebe aber dieser am Leben und jener
käme um, so könnten sie von neuem klagen. Da gerieten die Juden
in Angst und legten die Sache still bei. Der blödsinnige Hans aber
nannte sich nur der arme Hans mit Gott, ging von Haus zu Haus und fand
überall Mitleid.
Quelle: Karl Müllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Neu bearbeitet von Otto Mensing. Schleswig 1921. Nr. 105