Kindersegen.
Um Neujahr 1313 war
ein Graf von Holstein mit seiner Gemahlin zu Hamburg. Und als über
Tisch die Herrschaften und ihre Junker sich allerhand Stadt-Neuigkeiten
erzählen, wie's zu sein pflegt, wenn man in Hamburg bei der Mahlzeit
sitzet, da kommt die Rede auf eines rechtschaffenen Bürgers Hausfrau,
bei der so eben Drillinge angekommen waren. Nun war die Gräfin noch
sehr jung und unerfahren, darum verwunderte sie sich ungemein über
diese Sache, und wollte es gar nicht für möglich halten, daß
solche Drillings-Geburt sollte mit rechten natürlichen Dingen zugegangen
sein, vermeinte also, die Bürgersfrau müsse wohl ungetreu oder
eine Zauberin sein, denn ohne Sünde oder Hexenkunst könne nie
mehr als ein
Kind zur Zeit geboren werden, und eben so gut als zwei oder drei, könnten's
ja auch noch viel mehr sein, und wenn's mit der Bürgersfrau Richtigkeit
habe, so wolle sie sich's gefallen lassen, so viel Kinder zu bekommen
als Tage im Jahr.
Um nun die Gräfin
wegen ihrer einfältigen und fürwitzigen Reden zu strafen, und
die Unschuld der ehrlichen Hamburgerin recht ans Licht zu bringen, - was
geschieht? Noch bevor das Jahr um ist, bekommt die Gräfin zum Entsetzen
ihres Herrn und der Amme und Aller, die es erfahren, wie zu ihrem eigenen
unsäglichen Schrecken, 364 Kindlein, nicht mehr und nicht weniger,
364 ganz kleine niedliche Kinderchen, jedes so winzig klein wie eine Seekrabbe,
und alle waren springend lebendig, und hatten kralle Aeuglein im Köpfchen
und schrieen zusammen ganz allerliebst. Das war eine schöne Bescheerung!
Des Grafen Capellan kam flugs herbei mit dem leeren Taufbecken, dahinein
that man alle 364 Kinderchen, und besprengte sie behutsam mit Weihwasser,
und jedes Köpflein bekam ein Tröpflein. Das war ihre heilige
Taufe. Und darnach wurden die 364 allesammt still und immer stiller, -
sie hatten ihren Erdenberuf, die Ehrenrettung der Hamburgerin, erfüllt
-, sie durften verscheiden.
Fragt nun irgend
ein Ungläubiger spitzfindig: warum waren's denn nur 364, da doch
das Jahr 365 Tage hat? so ist die Antwort: die Gräfin wird wohl auch
im Kalender schlecht bewandert gewesen sein und immer geglaubt haben,
es gebe nur 364 Tage im Jahr, d'rum konnte sie billig auch nicht mit mehreren
gestraft werden, als sie sich vermessen hatte.
Diese artige Geschichte
erzählt ein Chronist, als sei sie hier in Hamburg passirt, folglich
ist sie auch als Hamburger Sage nacherzählt. Doch sollen ähnliche
wunderbare Begebenheiten sich auch an ändern Orten zugetragen haben,
namentlich in Holland i. J. 1276, wo einer Gräfin richtige 365 geboren
sind, die dann nach der summarischen Taufe mit der Mutter zugleich gestorben
sind.
Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten
und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 37