Vom Schandstein-Tragen.
(Um 1292.)
Unter den wenn auch
oft grausamen und mindestens sehr strengen, aber stets sinnreichen und
zuweilen fast komischen Strafen des Mittelalters war auch die des Schandstein-Tragens
durch ganz Deutschland und namentlich Niedersachsen sehr allgemein. Sie
war nur für Frauenzimmer bestimmt, und zwar für solche Vergehen,
die nicht grade schwere Leibes- und Lebensstrafen nach sich zogen.
Nach dem alten Hamburger
Stadtrecht von 1292 wurden der leichtfertigen Verläumderin ehrbarer
Frauen und Jungfrauen beim Kaak (dem Richtplatz fürs Stäupen,
Brandmarken und ähnliche Strafen), zwei Steine um den Hals gehängt,
worauf sie damit belastet vom Frohn und seinen Knechten mit Hörnerblasen,
ihr zur Schmach und Schande, durch die Straßen und zur Stadt hinausgeführt
wurde. Diese strenge Strafe für ein Vergehen, welches damals doch
nicht so selten vorgekommen sein muß, wiederholt noch das Stadtrecht
von 1497. Ein solches in Lübeck aufbewahrtes Paar Schandsteine wiegt
mit der eisernen Kette, an der sie hängen, 2 Liespfd. und 8 Pfd.;
es wurde so um den Hals gelegt, daß der eine Stein auf der Brust,
der andere tief auf dem Rücken hing. In einigen Städten waren
Stacheln daran befestigt. Oft waren die Steine noch besonders geformt,
oder zeigten darauf eingehauene Figuren, z. B. mit Anspielung auf das
veranlassende Vergehen: einen Weiberkopf mit ausgestreckter Zunge, unter
einem Maulkorbe.
Später kam es
so hier wie anderswo auf, daß die Delinquentinnen nur einen
aber wohl an 100 Pfd. schweren Stein tragen mußten, gewöhnlich
in ovaler Schüssel-Form, oder in Gestalt einer Katze, oder einer
Flasche (weshalb der Volkswitz diese Strafe auch "den Trunk aus des
Büttels Flasche" nannte), oder in noch anderen symbolischen
Formen. Um diese Zeit scheinen bereits die Verläumderinnen tugendhafter
Frauen mit dem Schandstein verschont gewesen zu sein, dagegen gebrauchte
man ihn fleißig zur abschreckenden Bestrafung der bös- und
lügenhaften Diebinnen und schlechten Weiber, der leichtfertigen (fahrenden)
Mägde, sowie der untreuen Frauen; auch (und hierauf paßte die
Flaschenform)
der Trunkfälligen,
sowie derer, die im Zanken, Lästern, Prügeln und Kratzen unverbesserlich
waren (es soll ja hie und da unter dem schönen Geschlechte solche
"Haderkatzen" geben). Auf diese war es wohl mit der steinernen
Katze gemünzt.
So wurde hier in
Hamburg am 9. December 1536 eine junge Sünderin, die auch ihr Kind
verwahrloset hatte, durch die Straßen geführt; sie trug den
Schandstein und mochte die Augen nicht aufschlagen. Und vorauf und hinterher
gingen die Frohnsknechte und Büttelsleute, und bliesen auf Kuhhörnern,
und der Jan Hagel und alle Gassenbuben liefen nebenher und machten mit
Pfeifen und Kessel-Schlägen ein erschreckliches Lärmen, und
verlachten und verhöhnten grausam das arme junge Weibsbild, das sodann
am Kaak gestäupt (mit Ruthen gestrichen) wurde. Und zuletzt, bei
anbrechender Dunkelheit, führte sie der Frohn bis ins Thor, dort
gab er ihr ein dreikantig Roggenbrot als Wegzehrung und sprach dazu: "Um
der Bosheit willen, so du begangen, darum bist du gnädiglich gezüchtiget.
Dess' sollst du mit Rache nimmermehr im Argen gedenken meinen Herren,
und sollt fortan meiden die Stadt, dir geschehe dann Gnade von meinen
Herren, das schwöre, so wahr dir dereinst Gott helfe und sein heiliges
Wort", und den Eid mußte sie ihm nachsprechen, und die Urphede
schwören, daß sie keine Rache der gnädigen Strafe halber
hegen und die Stadt meiden wolle ihr Lebelang, - dann stieß der
Frohn sie zum Thore, zur Stadt, ins Elend hinaus und hinter ihr schloß
der Thorwart die Pforte.
Eben so erging es
am 30. August 1539 einem bösen lästerlichen Weibe, und 1542
einer treulosen Frau: sie mußten den Schandstein tragen, und dann
Stadt und Gebiet verschwören.
Gegen Ende des Jahrhunderts
scheint diese Strafart abgekommen zu sein. Hier und anderer Orten findet
man sie im folgenden nicht mehr. Das dreikantige Brot wurde auch später
allen Ausgewiesenen mitgegeben, weshalb man es einen "Uthwiser"
nannte. Der Form wegen nannte man aber auch einen dreikantigen Hut einen
Uthwiser.
Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten
und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 32