Von der Hamburgischen Schuljugend im Mittelalter.
(Um 1300.)
Nach glücklicher
Beendigung des blutigen Schuljungen-Krieges durch den Frieden von 1289,
welcher eine dauernde Eintracht zwischen den Scholaren der Dom- und denen
der St. Nicolai-Schule begründete, begingen fortan beide Theile ihre
großen Feste, zu deren größerer Verherrlichung, gemeinsam.
Wie auf allen Deutschen
Schulen des Mittelalters gab es nämlich auch in Hamburg gewisse Schul-
oder Schüler-Feste, als deren wesentlicher Inhalt: öffentliche
Processionen in allerlei spaßhaften Verkleidungen, Umzüge durch
die ganze Stadt, Einsammlung von Lebensmitteln und Almosen, und gehörige
Schmausereien, erscheinen. Die Wichtigkeit, die man schon damals den Schul-Instituten
beilegte, veranlaßte, zur Anlockung und Aufmunterung der Schüler,
solche Privilegien und Freiheiten, welche freilich unserm Zeitgeschmack
seltsam und schier unpassend dünken, damals aber völlig in der
Ordnung gewesen sind, da sie ganz allgemein in allen Deutschen Landen
vorkommen. Durch mancherlei diesem Zwecke gewidmete Vermächtnisse,
sowie durch Sammlungen wurden die Kosten solcher Lustbarkeiten bestritten.
Unter der Hamburgischen
Schuljugend des Mittelalters darf man sich nicht lauter Kinder unter fünfzehn
Jahren vorstellen. Außer diesen, die man Scholares sub jugo nannte
(unterm Joche, nämlich unter der Fuchtel des Canonicus-Scholasticus),
gab es ältere, Scholares majores, sub jugo non existentes, deren
Zwingherr der Dom-Dechant selbst war. Diese, aus welchen auch die acht
Chorschüler
des Doms genommen wurden (welche auch Schlafschüler
hießen, weil sie in einem Dom-Gebäude ihre Schlafstellen hatten),
machten die den damaligen Anforderungen entsprechenden theologischen Studien,
bis sie zu dem Dienste eines Vicars promovirt und höherer geistlicher
Grade würdig erachtet wurden. Darum gab es nach 1400 zwei gelehrte
theologische Lectoren am Dom, darum wurden sie in der christlichen Dogmatik,
in Rhetorik und Dialectik geübt, in der Gesangskunst vervollkommnet,
und zum genausten Verständniß der Lateinischen Sprache angeleitet,
die schon den jüngsten Schülern neben dem Lesen, Schreiben und
Rechnen eingebläuet wurde.
Die damaligen Schüler saßen auch nicht immer still in der Classe
und lernten; es gehörte ja der Kirchendienst zu ihren Pflichten;
sie dienten bei den täglichen wie nächtlichen Messen und verherrlichten
durch Gesang den Gottesdienst; sie dienten auch bei allen Leichen-Bestattungen,
wie bei bürgerlichen Festlichkeiten als geübte Sänger und
gewandte Vorleser.
"Pueri puerilia
tractant", - von der Unbändigkeit und dem zügellosen Muthwillen
der mittelalterlichen Schuljugend Hamburgs sind viele Klagen bis auf unsere
Zeit gekommen; sie waren lose Vögel, zuweilen gar nicht nüchtern,
sie sangen absichtlich falsch, lärmten in der Kirche, brachen zur
Nachtzeit in Bürgerhäuser unter dem Vorwande, nach den vom nächtlichen
Chordienste wegbleibenden Mitschülern zu suchen, und schwärmten
tobend in der Stadt umher. Daß sie aber noch 1477 aus Muthwillen
den Gebrauch des "heimlichen Gemaches" verschmähten, weshalb
E. E. Rath solchen Unfug abzustellen, das Dom-Capitel ernstlich ermahnen
mußte, das ist fast unschicklich zu sagen, aber dennoch urkundlich
zu beweisen. Der Bakel mag rechtschaffen auf den Rücken getanzt haben,
ohne ihnen die bösen Schalksstreiche austreiben zu können. Denn
außer diesem Corrections-Mittel des Stockes kommen noch viele andere
Strafen vor, z. B. Kirchen-Prison ("prisonium ecclesiae"), bei
Angst-Wasser und Kummer-Brot ("panis doloris et aqua angustiae"),
sogar Excommunication und Stadtverweisung.
Unter den Deutschen
auch zu Hamburg begangenen Schüler-Festen zeichnen sich nun folgende
aus.
Am St. Gregorius -Tage,
den 12. März, an welchem von den Scholaren vieler Deutscher Schulen
die halb ernsthafte, halb spaßhafte Ceremonie der Erwählung
eines Kinder-Bischofs vorgenommen wurde, fand in Hamburg nur eine einfachere
Festlichkeit statt, eine Art Schulgrün mit allerlei Um- und Aufzügen
und schließlich eine erquickliche Mahlzeit. Der berühmte oder
berüchtigte Alchymist und Medicus, Engelbert Arnoldi, ein wegen angeblicher
Ketzerei aus dem Kloster Lokkum verbannter Mönch, welcher zuletzt
hier lebte, lehrte und starb (etwa 1388 oder 1390) und seine treuesten
Jünger und Verehrer unter den Hamburger Scholaren hatte, die ihm
schließlich auch ein ehrliches, wenn auch nicht christliches Begräbniß
auf dem Heiden-Kirchhofe verschafften und ihn selbst bestatteten, hatte
letztwillig für so viele Anhänglichkeit ein Capital von 100
Rhein. Goldgülden bestimmt, dessen Zinsen zu den Kosten des Schüler-Gastmahls
am St. Gregorius-Tage beitragen sollten.
Am Vorabend des St.
Andreas-Tages (30. November) durften sich
die Schüler aus ihrer Mitte einen Abt wählen, den sogenannten
Kinder-Abt, der in pontificalibus ihren Processionen voranzog und in den
Kirchen und bei sonstigen Feierlichkeiten allerlei Vorzüge genoß.
Sein Reich dauerte aber nicht lange, denn am 6. Dezember war das Hauptfest
der Schüler, der St. Nicolas-Tag, an welchem der Kinder-Abt dem Kinder-Bischof
Platz machen mußte, von dem wir sogleich hören werden.
Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten
und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 35