St. Maria to'm Schare.
(1371.)
Da, wo bis 1886 der
Rödingsmarkt auf den sogenannten Klevelappen stieß, bis zur
Scharthorsbrücke und weiter abwärts, standen um 1371 noch keine
Häuser; es war ein vor
der Stadt am Hafen belegenes freies
Ufer, was in Altsächsischer Sprache Schar oder Schor hieß (im
Englischen shore). Dort, bei dem hiernach genannten Schar- oder Ufer-Thore,
wo die Schiffer landeten und wo täglich Pilger und Reisende ankamen
oder abgingen, dort stand von uralten Zeiten her in einer Nische der Stadtmauer
ein hochverehrtes Mutter-Gottes-Bild. Und diese "Sunte Maria to'm
Schare to Hamborg" war namentlich bei allen hier verkehrenden Seefahrern,
wie überhaupt bei allen Pilgrimmen und Reisenden in so großem
Ansehen, daß beständig Andächtige in Menge vor dem unscheinbaren
Bilde auf den Knien lagen und beteten. Und kein Schiffer ging aus dem
Hafen, der nicht daselbst die Mutter des Heilandes um Fürbitte bei
dem Allmächtigen angefleht hätte, daß ihm eine glückliche
Reise und fröhliche Heimkehr zu Theil werden möge; und Keiner
kam glücklich heim, der nicht an derselben Stätte seinen Dank
mit Gebet und Almosen geopfert hätte. Und in damaligen für See-
wie Land-Reisen gefahrvollen Zeiten hatte mancher fahrende Mann, bei drohenden
Schrecknissen unterwegs, der heiligen Maria to'm Schare Hülfe angerufen
und hernach als glücklich Erretteter sein Gelübde an Ort und
Stelle gelöset. Und auch hier in der Stadt sollen der Wunder viele
an Kranken, Blinden und Lahmen geschehen sein, wenn die Hülfesuchenden
mit gläubigem und demüthigem Sinne die Mutter Gottes am Scharthore
um Heilung angerufen, und darum war dies Bild so hoch geehrt. Und die
Sage ging unter dem Volke, der heilige Anscharius, der erste Erzbischof
in Hamburg, habe diese gnadenreiche Bild mit herüber gebracht, als
er etwa 30 Jahre nach Hamburgs Erbauung hierher gekommen; und an der Uferstelle,
wo er zuerst das Land betreten, da habe er es aufgestellt, und als später
Stadtmauer und Thor hier gebaut sei, habe man das Bild in die Nische gesetzt
und dem heiligen Anschar zu Ehren das Thor Scharthor genannt. Ob er's
wirklich herüber gebracht hat oder nicht, und ob nach ihm oder nach
dem Ufer das Thor so genannt wurde, ist gleichviel; schön aber ist's,
daß das damalige Volk des vor 500 Jahren entschlafenen Erzbischofs
noch lebendig gedachte und sein Andenken in Ehren hielt.
Und im Jahre 1371
hat sich der Rath mit dem Dom-Capitel vereinigt, um an jener Steller hart
am Ufer ein Bethaus zu erbauen, "dar man schall inne selten dat Bilde
der billigen Juncfrowen, welck nu steit in der Muren der Stad by der Poorten
Schardor".8 Und dies Bethaus wurde 60 Fuß lang und 30 Fuß
breit, und vor dem Marienbilde wurde ein Block angebracht zur Empfangnahme
der Opfer und milden Gaben, von deren erstem Drittel das Gebäude
unterhalten wurde, während das Domstift das zweite Drittel und E.
E. Rath, für Beschirmung der Pilger und Wallfahrer, das letzte Drittel
empfing.
Um 1450 aber war
aus dem Bethause eine förmlich geweihte Kapelle geworden, in welcher
der Gottesdienst von der Jacobsbrüderschaft, eine Corporation von
Schiffern und ihren Frauen, unterhalten wurde. Denn diese ehrbaren Jacobsbrüder
stifteten Vicarien und Commenden für die Priester der Kapelle und
tägliche Almissen und Messen. Und sie und viele andere gute Christen
hielten dort täglich Andacht und Gebet, ehe sie an ihr Tagewerk gingen,
und schenkten der Kapelle Kleinodien und spendeten der Armuth reichliche
Gaben, und noch 1514 vermachte Martin Parseval, Oldermann der Jacobsbrüderschaft,
dieser Kapelle sein Haus im Rödingsmarkt.
Zum Unterschiede
aber von dem in der Domkirche befindlichen Mutter-Gottes-Bilde, welches
"St. Maria im Thum" hieß, nannte man diese Kapelle mit
dem alten Namen "St. Maria to'm Schare", jedoch auch, löblicher
Kürze wegen, "Schar-Kapelle", wobei man denn, irrig, aber
gut gemeint, eben so viel an den heiligen Anschar dachte, als an die heilige
Maria, die hier am Schare der Elbe verehrt wurde.
Uebrigens gab's in
der Stadtmauer bei dem alten Lübschen (dem späteren Stein-)
Thore noch ein Marienbildniß, welches i. J. 1377 wieder hergestellt
wurde. Denn die Mutter Gottes war des Doms und der Stadt Schutzpatronin.
Quelle: Otto Beneke, Hamburgische Geschichten
und Sagen, Hamburg 1886. Nr. 42