DIE GLÜHENDEN KOHLEN

Im Städtchen Lorch am Rhein, da, wo die Wisper in den Strom fällt, steht an der Stadtmauer auch eine Mühle, deren Räder die raschen Wellen der Wisper treiben. Einer Nacht erwachte die Magd in dieser Mühle sehr früh, es war ganz hell, und sie meinte schon, sich verschlafen zu haben, und eilte, das Feuer in der Küche zu schüren. Da gewahrte sie, wie sie durch das Küchenfenster in den Hof hinabsah, einen Haufen glühender Kohlen und ging eilend hinab, um davon um so schneller für ihr Herdfeuer Brand zu gewinnen. Drunten lagen um das Kohlenfeuer einige ihr unbekannte fremde Männer, sie aber fuhr, ohne sich an diese Männer zu kehren, mit ihrer Schaufel in die Kohlen hinein und kehrte mit der Schaufel voll in das Haus zurück. Aber als sie die Kohlen auf den Herd schüttete, so glühten sie nicht mehr, sondern waren erloschen. Sofort lief die Magd noch einmal hinaus und holte wieder eine Schaufel voll - es ging aber gerade wie beim ersten, die Kohlen waren tot. Und nochmals rannte die geschäftige Magd hinaus, da sprach einer der Männer mit tiefer Stimme: Du, höre, dieses ist das letzte Mal! - Die Magd erschrak, und befiel sie ein Bangen, doch sprach sie kein Wort und eilte nur, daß sie wieder an ihren Herd kam. Aber die Kohlen waren abermals erloschen - und jetzt hob die Turmuhr auf der Stadtkirche aus und schlug - und die Magd horchte und wollte gern wissen, wie früh es wäre, und zählte drei - vier - sechs sieben - so spät konnt es doch noch nicht sein - acht - neun was ist das? - und die Uhrglock' schlug immer zu, und schlug Zwölf - und im Hof verschwand das Kohlenfeuer, verschwanden die Männer. Der Magd gruselte fürchterlich - sie eilte in ihre Bettkammer, kroch tief unter die Decke und betete so viele Seufzerlein und Reimgebetlein, als sie konnte und wußte. Am Morgen verschlief sie sich in aller Form, und statt ihrer trat der Müller zuerst in die Küche, der traute seinen Augen kaum, als er auf dem Herd statt glühender Kohlen einen Haufen glitzernder Goldstücke liegen sah, nahm den Schatz und erbaute sich davon ein neues Haus zu Lorch, gab auch der Magd ihren guten Anteil vom durch sie gewonnenen Reichtum.


Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853