FRAU HOLLEN BAD UND TEICH
Im Hessenlande liegt ein hoher Berg mit langem breitem Rücken, von dem der Sagen viele umgehen, der heißt der Meißner. Dieser Bergstock ist dem Schneekopf des Thüringer Waldes, dem schlesischen Zobten, der hohen Rhön und andern gar nah verwandt. Wie unterm Schneekopf das Mordfleck, so auf dem Meißner ein Schlachtrasen, wie dort die Teufelskreise, so hier die Teufelslöcher, und auch Frau Holle hat auf dem Meißner ihr Bad und ihren Teich. Alte Leute haben erzählt, daß sie zum öftern in der Mittagsstunde badend darinnen gesehen worden und dann verschwunden sei. Oft haben sie und ihr gespenstiger Anhang Reisende und Jäger oben die Kreuz und Quer in der Irre herumgeführt, aber Weibern, die sich vertrauensvoll in ihr Bad begeben, hat letzteres gute Wirkung getan, trotz Sankt Remaclus' Fuß zu Spa oder Bocklet. Frau Holle hat da droben einen Kindleinsbrunnen; sie bringt die Kinder den Frauen in das Haus; nimmt aber auch welche mit. Sie hat auch einen ebenso schönen blumen- und früchtereichen Garten wie die Jungfer im Wallfahrtgarten und ist Spinnefrau, überwacht Flachs und Linnen. Fleißige Spinnerinnen belohnt, faule bestraft sie; sie erscheint bald als spinnegraues Mütterlein in einem hohlen Baumstrunk sitzend, bald als schöne weiße Frau an oder auf ihrem Teiche; häufig gewahrt man sie nicht, obschon sie meist auf dem Meißner wohnt, wenn sie nicht gerade im Hörseelenberg zu tun hat und mit dem wütenden Heere ziehen muß - aber zum öftern hört man in der Tiefe ihres Teiches ein Glockengeläut und finsteres Rauschen, letzteres geradeso, wie man es vernimmt, wenn man droben am Hörseelenbergloche steht. Wer ein tiefsinnig-schönes Abbild der Frau Hulda schauen will, wie die Alten sie dachten, der blicke den Holzschnitt an überm zehnten Gespräch oder Kapitel von Petrarchä Glücksbuch, da steht sie im tiefen kräuterreichen, vom Feuerstrahl des Himmels durchflammten Walde, haltend den mächtig hohen Rocken, der mit vollen Spindeln für die Fleißigen umsteckt ist, über sich den Mond und zwölf Sterne in Kreisen, welche die zwölf Nächte ihres Ziehens andeuten. Sie selbst ist alt und gebeugt und runzelvoll, und ihr langes Lockenhaar fliegt um ihr Haupt im Winde. Wenn sie nun zieht und findet, daß die Mägde neue Spinnrocken angelegt haben, so sagt sie:
So manches Haar,
So manches gute Jahr. -
Trifft sie aber nach Neujahr noch Flachs vom vorhergehenden Jahre auf
den Rocken, dann spricht sie:
So manches Haar,
So manches böse Jahr -
und nimmt den Faulen die Decke und legt sie splitternackt in den Schnee
oder auf kalte Steine, zerzaust ihnen ihr Gespinst und ist sehr ungnädig.
Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853