DAS GEWÖLBE IM AUERBACHER SCHLOSZ
Jenseits des Melibokus, wenn man nach Heidelberg fährt, liegen auf einer der schönsten Höhen der Bergstrasze die Trümmer des Auerbacher Schlosses. Ein Mann in dem nicht fernen Odenwälder Dorfe Reichelsheim, welcher die Kunst verstand, alle Thüren ohne Schlüssel zu öffnen, erzählte oft, dasz in den Trümmern ein Gewölbe sei, welches er jedes Jahr besuche. Wenn er es durchschritten habe, komme er in einen hohen und weiten Saal, worin zwölf Männer um einen halbrunden Tisch säszen; vor ihnen im Saal lägen grosze Haufen Geldes. Er dürfe davon jedesmal drei Griffe mit beiden Händen zugleich nehmen und während dessen fragte einer an der Tafel: "Was sollen wir mit dem da machen?" Die andern sagten stets: "Lasz ihn nur gewähren." So hatte er es schon lange Jahre gehalten und war ein reicher Mann geworden, aber plötzlich war es zu Ende damit und er verarmte jedes Jahr mehr. Da fragte man ihn, wie das komme und warum er kein Geld mehr in Auerbach hole, und er sprach: "Ich hab's mit ihnen verdorben und kann das Gewölbe nicht mehr finden. Als das letztemal wiederum einer der zwölf Männer fragte: Was sollen wir mit dem da machen? rief ich übermüthig, denn ich hatte zu viel getrunken: "Halt's Maul, du alter Narr!" aber da standen sie alle von ihren Stühlen auf und fielen über mich her und wie ich herausgekommen bin, das weisz ich selbst nicht. Soviel nur weisz ich, dasz ich mich vor dem Gemäuer wiederfand und blaue Mäler am ganzen Körper hatte, ebenso, dasz ich seitdem das Gewölbe vergebens gesucht habe.
Quelle: Hessische Sagen, J. W. Wolf, Leipzig 1853,
Nr. 1, S. 1