55. Der Wind wird am Beine verwundet.
Der Wind hatte einem Bauern häufig übel
mit gespielt. Einst trieb er es jedoch gar zu toll, denn er deckte dem
geplagten Manne mit einem heftigen Stoße das ganze Strohdach ab.
Aber der Bauer verstand keinen Spaß, sondern warf sein scharfes
Taschenmesser mit solcher Wucht auf den Wind zu, daß dieser schleunigst
entfloh.
Der erzürnte Bauer eilte hinter ihm drein und trat in die Stube des
Windes, um ihm dort auch mündlich heftige Vorwürfe für
sein ungebürliches Benehmen zu machen. Aber der Wind wollte von Reue
nichts wissen. "Hab' ich ja schon mehr gelitten", sagte er,
"als der ganze Bettel wert ist. Sieh nur, wie tief mir die Klinge
deines Messers in das Bein gefahren ist. Wenn du es mir aber herausziehst,
will ich sofort allen Schaden wieder gut machen."
Der Mann ging darauf ein und entfernte das Eisen. Darauf verabschiedete
er sich von dem Winde, und ehe er noch sein Haus erreicht hatte, konnte
er schon sehen, daß der Wind alles Stroh wieder so schön und
sauber auf das Dach geweht hatte, wie es zuvor gewesen war.
Mündlich aus Zabelsdorf, Kr. Randow.
Volkssagen aus Pommern und Rügen, Ulrich Jahn, Berlin 1889, Nr. 55