DER WILDE JÄGER VERFOLGT DIE WEIßE FRAU
Noch vor der Zeit, als die Franzosen in Pommern hausten, ging eines Abends der Schullehrer von Hohenholtz nach Stettin, um Einkäufe zum Kindelbier zu machen. Da hörte er mit einem Male die wilde Jagd mit Hundegebell und Jägergeschrei herannahen und, ehe er sich von seinem Schrecken erholen konnte, kam eine schneeweiße Taube auf ihn zu geflogen und bat ihn, mit seinem Kreuzdornstock einen Kreis um sich zu schlagen und denselben mit drei Kreuzen zu weihen.
Der Lehrer that, wie ihm befohlen war, und kaum war er fertig, so schlüpfte die Taube in den Ring hinein und verwandelte sich dort in eine weißgekleidete Jungfrau. Doch schon war auch der wilde Jäger auf seinem Rosse bei der Stelle angelangt und rief dem geängsteten Manne zu: »Öffne den Kreis und stoß die weiße Frau heraus!« Was half es, daß diese den furchtsamen Menschen bat, dem Befehl nicht zu gehorchen, daß sie ihm wieder und wieder versicherte, der mit dem Kreuzdorn gezogene Kreis schütze ihn vor jeder Gewaltthätigkeit der wilden Jagd. Umsonst, der erschrockene Lehrer leistete dem Gebot Folge, öffnete den Kreis, und im Nu war auch die Jungfrau daraus entschlüpft und jagte der wilde Jäger wieder hinter ihr drein. Aber lange kann die Jagd nicht mehr gedauert haben, denn schon nach kurzer Zeit kam der Jäger zurück und hatte vor sich auf dem Pferd die getötete Frau liegen, so daß ihre langen, schwarzen Haare den Erdboden schleiften.
Mündlich aus Zabehdorf, Kreis Randow.
Quelle: Volkssagen aus Pommern und Rügen, Ulrich Jahn, Berlin 1889, Nr. 16