100. Der Artushof in Stralsund.
In mehreren angesehenen Städten, besonders an der Ostsee, findet
man herrliche Gebäude, welche den Namen Artushof führen. Der
berühmteste ist der am langen Markte zu Danzig. Wer je in der schönen
Stadt Danzig gewesen ist, der wird unter allen ihren Herrlichkeiten gewiß
auch ihres schönen Artushofes nicht vergessen. Der Name dieser Gebäude
soll herkommen von dem König Artus; man weiß aber nicht, ob
von dem Artus, der um das Jahr 509 nach Christi Geburt König
von England war, oder ob von dem Artus, der um das Jahr 630 in
Schweden regierte. Einer von diesen beiden Königen soll nun aber
auch über die sämmtlichen Vandalischen Völker geherrscht,
und ein so gutes Andenken unter ihnen zurückgelassen haben, daß
sie bei besonderen Gelegenheiten ihm zu Ehren Häuser erbauten, in
denen sie zu ihren Ergötzlichkeiten zusammenkamen, und die sie nach
seinem Namen nannten.
Ein solcher Artushof ist auch vor Zeiten in der Stadt Stralsund gewesen.
Er hat nahe am alten Markte gestanden, hinter der jetzigen Hauptwache.
Es versammelten sich darin der Magistrat und die Compagnien der Stadt
zu ihren alljährlichen Amtsschmausereien. In dem großen Brande,
der die Stadt betraf, ist er zu Grunde gegangen, und es ist nachher ein
Arresthaus an dessen Stelle gebauet.
Dieser Artushof ist auf folgende Weise entstanden: In den früheren
Zeiten waren die Fürsten von Rügen zugleich Schutzherrn der
Stadt Stralsund. Der letzte Fürst in Rügen war Witzlav der vierte.
Dieser hatte so viel Streitigkeiten mit der Stadt, daß er sie nicht
anders als ein Geschwür in seinem Lande zu nennen pflegte. Er lag
fortwährend mit ihr im Streit wegen ihrer alten Privilegien, die
sie, wie er behauptete, nicht rechtmäßig von seinen Vorfahren
sollte erhalten haben. Um sie endlich einmal ganz zu bezwingen, rief er
im Jahre 1316 einen großen Haufen von Bundesgenossen gegen
sie zu Hülfe. Dieß waren Erich der Fünfte, König
von Dänemark, Herzog Woldemar von Schleswig, Graf Adolph von Schaumburg,
Herzog Albrecht von Braunschweig, Heinrich der Löwe von Mecklenburg,
Pribislaus Herr der Wenden, Graf Gunzelin von Wittenberg, Graf Günther
von Ruppin, die Grafen Gerhard und Johann von Holstein, der Graf Heinrich
von Schwerin, und der Herzog Erich von Niedersachsen. Alle diese Herren
zogen mit zahlreichen Mannschaften gegen die Stadt Stralsund, und belagerten
sie zu Wasser und zu Lande. Die Stralsunder hatten keinen anderen Bundesgenossen,
als den Herrn Stoislav von Puttbus. Allein sie wehrten und hielten sich
so tapfer, daß die Belagerer nichts gegen sie ausrichten konnten,
und zuletzt, nachdem die Stralsunder ihnen auch ihre Schiffe verbrannt
hatten, unverrichteter Sache und mit großem Verluste abziehen mußten.
Während dieser Belagerung nun machten die Stralsunder einmal am Tage
St. Antoni, welches war der erste März, einen Ausfall nach dem vor
der Stadt belegenen Hainholze hin. In diesem Holze lag mit seinen Leuten
der Herzog Erich von Sachsen, ein gar kecker Herr, der den Stralsundern
zum Possen allerlei Muthwillen zu treiben pflegte, und sich besonders
durch eine schwere goldene Kette auszeichnete, welche so lang war, daß
er sie dreimal um seinen Leib winden konnte. Denselben Herzog Erich bekamen
die Stralsunder bei diesem Ausfall gefangen, und weil er sie so arg verhöhnt
hatte, so banden sie ihn zur Schmach an seine eigene goldene Kette, und
führten ihn so in die Stadt hinein. Allda hielten sie ihn drei Jahre
lang gefangen, bis er sich mit 16,000 Mark feinen Silbers ranzionirte.
Von diesem Gelde, von welchem indeß der Herzog Wartislav von Pommern
und der Markgraf von Brandenburg einen Theil mitbekamen, und von der goldenen
Kette des Herzogs Erich haben darauf die Stralsunder ihren Artushof erbauet,
und zugleich ihr schönes Rathhaus, das noch jetzt, obgleich aus schlechten
Fenstern sehend, eine Hauptzierde der alten Stadt ist.
Micrälius, Altes Pommerl. I. S. 248. 249.
Gesterding, Pommersches Magazin, IV. S. 90-93.
Altes und Neues Pommerland, von Christian Schöttchen, S. 155. 156.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 100