104. Der Landvogt Barnekow.
In der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts lebte in der Stadt Stralsund,
welche sich gerade damals, wieder durch ihre Widersetzlichkeit gegen ihren
Landesfürsten auszeichnete, ein Bürgermeister, Namens Otto Fuge,
ein eben so unruhiger, als herrschsüchtiger und gewaltthätiger
Mann. Die Stadt hatte, in Folge mannigfacher Unruhen, kaum dem Herzoge
von Neuem gehuldigt, als er es schon wieder unternahm, sie gegen denselben
aufzuwiegeln. Er schrieb zu dem Ende einen Landtag nach Stralsund aus,
wozu er Abgeordnete aus den übrigen Städten und die Eingesessenen
vom Adel des Landes entbot.
Als der Herzog Wartislav IX. von diesem Landtage erfuhr, befahl
er seinem Rathe, dem Landvogt auf Rügen, Raven Barnekow, sich nach
Stralsund zu begeben, um das Betragen der zusammenberufenen Stände
zu beobachten, und zu sehen, was Otto Fuge werde beschließen lassen.
Die Versammlung der Abgeordneten fand statt auf dem offnen Markte, wo
sich große Haufen von Menschen zusammengefunden hatten. Unter diesen
war auch der Landvogt Barnekow. Als Alle beisammen waren, hielt der Bürgermeister
eine Anrede an sie, und erklärte laut und vor mehr denn tausend Menschen
den Herzog Wartislav für einen Landesverräther, dem man nicht
ferner gehorchen könne.
Da trat Raven Barnekow unerschrocken vor den Bürgermeister hin, und
strafte ihn Lügen mit eben so lauter Stimme, indem er demselben vorwarf,
daß er selbst ein Verräther sey an seinem Herrn und an seinem
Lande.
Der Bürgermeister gerieth durch eine solche kühne und öffentliche
Beschimpfung in eine unbeschreibliche Wuth. Er ließ sofort den Landvogt
sammt dessen Secretair und Notar in Haft nehmen, und klagte sie bei dem
Gerichte der Stadt an als Spione und Verräther. Das Gericht, abhängig
eben so sehr von dem strengen und mächtigen Bürgermeister, als
von der Stimmung des aufgeregten Volkes, gab der Anklage Statt, und verurtheilte
den Herzoglichen Landvogt, trotz aller seiner Protestationen, zu dem Tode
durchs Rad. Der unglückliche Barnekow wurde darauf zuerst an ein
Pferd gebunden und durch alle Straßen der Stadt geschleift. An jeder
Straßenecke ließ der Bürgermeister ausrufen: Dieser sey
ein Verräther der Stadt und sein Herr mit ihm! Dem widersprach aber
jedesmal der Landvogt, indem er mit dem festen Muthe, der ihn bis zum
letzten Augenblicke nicht verließ, entgegen erklärte: der Bürgermeister
Otto Fuge sey ein Lügner und selbst der Verräther. Danach wurde
er nebst seinem Secretär, welcher Heinricus hieß, und seinem
Notar, Namens Wannemer, gerädert, und sein Leichnam wurde auf das
Rad geflochten. Dies geschah im Jahre 1453. Seine Gebeine blieben
mehrere Jahre auf dem Rade.
Otto Fuge, nachdem er sich ganz von seinem Herrn losgesagt hatte, führte
unterdeß ein höchst grausames und empörendes Regiment
in der Stadt, so daß die Stralsunder es nicht ferner ertragen konnten
und ihn, nach manchen Streitigkeiten, mit seinen Anhängern aus der
Stadt vertrieben. Er entfloh nach Dänemark, wo er bis an seinen Tod
ein unstätes und flüchtiges Leben hat führen müssen.
Die Stadt unterwarf sich darauf wieder ihrem rechtmäßigen Herrn.
Es wurden jetzt auch die Gebeine des hingerichteten Landvogts vom Rade
abgenommen und nach Greifswald gebracht, wo sie in der St. Nicolaikirche
beigesetzt wurden.
So weit wird diese Geschichte von allen Pommerschen Chronisten und Geschichtschreibern
übereinstimmend erzählt. Diesem hat die Sage durch den Mund
des Volkes Folgendes hinzugesetzt:
Nachdem die Stadt Stralsund sich dem Herzoge unterworfen hatte, machte
dieser ihr auf Bitten der Söhne des Landvogts, zur Bedingung, daß
die Gebeine des Hingerichteten durch die Bürger der Stadt von Stralsund
nach Greifswald feierlich sollten getragen werden. Dabei soll er ihnen
ferner befohlen haben, daß sie nur einmal, nämlich auf der
Hälfte des Weges in dem Dorfe Rheinberg, stille halten durften. So
ist es denn auch geschehen. Ueber sechshundert Stralsunder Bürger
haben den Sarg mit den Gebeinen getragen; nur in Rheinberg haben sie sich
ausruhen dürfen, dann haben sie weiter getragen in einem Zuge, bis
an die Neuenkircher Brücke vor Greifswald. Hier haben andere Leichenträger
den Sarg in Empfang genommen, und ihn mit großen Feierlichkeiten
in die Nicolaikirche getragen. Dabei erzählt man sich, daß
in demselben Augenblicke, als an der Neuenkircher Brücke der Sarg
von der Bahre abgenommen ist, die Stralsunder noch die ganze Bahre mit
blanken Gulden haben bedecken müssen, so viele deren aufgehäuft
darauf haben liegen können. Auch das hatte ihnen der Herzog zur Bedingung
gemacht. An den beiden Stellen, wo die Leiche in Rheinberg und vor der
Neuenkircher Brücke niedergesetzt war, wurden zum Andenken Steine
aufgerichtet. Diese sieht man dort noch; sie stehen dicht an der Chaussee
von Greifswald nach Stralsund.
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 104