158. Das Raubschloß bei Cantrek.
Zwei Meilen von Gollnow liegt das Dorf Cantrek. Etwa eine Viertelmeile
von diesem sieht man auf einer ziemlichen Anhöhe die Ruinen einer
alten Burg; am Fuße der Anhöhe befindet sich ein klarer See.
Die jetzt zertrümmerte Burg ist früher ein Raubschloß
gewesen. Sie gehörte der Familie von Köller, welche seit undenklichen
Zeiten in Pommern das Gewerbe der Räuberei und Wegelagerung getrieben
hatte. Kein Kaufmann oder anderer Reisender konnte ungeplündert durch
die Gegend ziehen. Dabei hatten die Raubritter sich ihr Gewerbe so sehr
erleichtert, daß sie nicht einmal nöthig hatten, einen Späher
auf die Zinnen ihrer Burg zu stellen. Die armen Reisenden mußten
ihnen vielmehr von selbst entgegenkommen. Aus dem Burgsee nämlich
ergoß sich ein kleines Fließ, welches später in den Jubenbach
fiel. Dieses Fließ lief quer durch die Landstraße, so daß
jeder Reisende es passiren mußte. Nun, sagt man, hatten die Herren
von Köller über dasselbe eine Brücke schlagen lassen, dem
Anschein nach zur Bequemlichkeit der Reisenden, aber in Wahrheit zur Erleichterung
ihres bösen Gewerbes. Denn an der Brücke hatten sie einen Drath
befestigt, der unter der Erde her bis zur Burg hinaufging und dort an
eine Glocke reichte. So wie nun Jemand auf die Brücke trat, so gerieth
durch die Erschütterung der Drath in Bewegung, und die Glocke auf
der Burg läutete. Dann brach Alles auf und überfiel den arglosen
Wanderer, der über die Brücke gegangen war.
Solches Unwesen hat gedauert bis zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts;
denn Keiner hatte den gefährlichen Raubrittern in ihrer festen Burg
etwas anhaben können. Als aber zur Zeit des dreißigjährigen
Krieges der schwedische König Gustav Adolph nach Deutschland kam
und durch Pommern zog, hörte er auch von dieser Räuberburg,
und er beschloß sofort, sie zu belagern. Anfangs spottete sein der
Raubritter, der damals auf der Burg hausete. Nachdem der König aber
eine Zeitlang da gelegen hatte, und die auf der Burg sehen mochten, daß
keine Rettung mehr für sie sey, erschien auf einmal eines Abends
in dem Zelte des Königs eine hohe, schöne Frau. Die weinte sehr
und sprach zum Könige, daß sie die Frau des Herrn von Köller
sey, des Raubritters, den er belagere, und bat ihn sehr, daß er
ihrer und ihres Mannes schonen möge. Der König versprach ihr
das auch für sie, von ihrem Manne wollte er aber nichts wissen. Da
bat die Frau nur um freien Abzug dessen, was sie aus der Burg werde tragen
können; das versprach ihr der König. Am anderen Morgen nun ließ
sich die Zugbrücke der Burg nieder, und über dieselbe schritt
die Frau von Köller, ihren Mann auf dem Rücken, den sie also
rettete. Der König ließ darauf Alles tödten, was noch
auf der Burg war, und diese selbst zerstörte er.
Die Frau hatte ihren Mann aus Furcht über eine Viertelstunde weit
von der Burg getragen, bevor sie es wagte, ihn zur Erde niederzulassen.
An der Stelle, wo dieses geschah, bauten Beide nachher das Dorf Cantrek.
Sowohl an der Ruine der alten Burg, als an dem See unterhalb derselben
ist es noch immer nicht geheuer. Einer alten Frau, die noch jetzt in dem
Dorfe Cantrek lebt, ist einmal Folgendes begegnet: Sie war eines Abends
zu dem See gegangen, um zu krebsen. Dabei verspätete sie sich, so
daß es Mitternacht wurde. Auf einmal erhob sich ein schrecklicher
Sturm, der ihre Kienfackel, die sie bei sich hatte, verlöschte. Unten
im See aber hörte sie Geklirre von Waffen, und das Aechzen von Sterbenden,
und dann einen gräulichen Rumor, der immer höher heraufkam.
Zuletzt thaten sich die Wellen auseinander, und es stiegen acht geharnischte
Männer aus dem Wasser, die drei festgebundene Kaufleute mit sich
schleppten. Gleich hinter diesen her sprangen zwei andere geharnischte
Männer hervor, die aber ganz weiß waren, wogegen jene schwarze
Mäntel über ihren Rüstungen trugen. Die weißen Ritter
stimmten zuerst einen lieblichen Gesang an. Ihnen folgten mit erschrecklichem
Geheul die schwarzen, indem sie die räuberischen Thaten der Köllerschen
Familie besangen. Als sie zu Ende waren, stürzten beide Theile auf
einander los, und hoben einen wüthenden Kampf an. Die weißen
Ritter blieben darin aber Sieger, und erschlugen alle die acht schwarzen
Ritter. Sie warfen diese darauf in die Tiefe des Sees, und ließen
sich dann selbst unter einer schönen Musik in den See hinunter. Was
aus den gebundenen Kaufleuten geworden ist, hatte die alte Frau in ihrer
Angst vergessen.
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 158