126. Das neue Tief.
Die Insel Rügen war früher mit dem festen Lande verbunden.
Die jetzige Halbinsel Rügens, das Mönchgut genannt, soll nämlich
mit Pommern zusammengehangen haben. Manche sagen zwar, es sey schon in
den ältesten Zeiten davon getrennt gewesen; aber es war dies nur
durch einen schmalen Strom, der soll, wie einige Leute sagen, so schmal
gewesen seyn, daß zur Noth ein Mann herüber springen konnte.
Andere dagegen behaupten, er sey wohl etwas breiter gewesen, aber gar
nicht tief, so daß man dadurch einen Steg von Pferdeschädeln
und anderen Knochen gemacht habe, über den man von Pommern nach Rügen
habe gehen können. So viel ist gewiß, daß da, wo jetzt
das neue Tief ist, vordem das trockne Land von Rügen war; man kann
noch jetzt bei niedrigem und stillem Wasser unten auf dem Grunde des Meeres
an einigen Stellen Eichen und Tannenbäume erblicken.
Das wurde nun auf einmal anders in einer einzigen Nacht im Anfange des
vierzehnten Jahrhunderts; man kann nicht einig darüber werden, ob
es in den Jahren 1302, oder 1303, oder 1308, oder 1309 gewesen ist. In
einem dieser Jahre soll es aber sicher vorgefallen seyn. Da entstand ein
schrecklicher Sturmwind, der durch die ganze Ostsee ging, so daß
er an allen ihren Küsten entlang die Kirchen und Häuser einwarf.
Der riß auch mit einem Male das Land zu Rügen von Pommern ab,
also daß ein schöner Theil Rügens in die See versank,
da wo sie der große Bodden heißt. Zwei ganze Kirchspiele sollen
hier vergraben liegen, das von Ruden und das von Carven. Es blieb davon
nichts übrig, als das kleine Inselchen, der Ruden genannt, welches
mitten im Bodden liegt.
Das Fahrwasser, welches auf solche Weise zwischen diesem Ruden und der
Insel Rügen entstanden ist, hat man seitdem das neue Tief geheißen.
Dasselbe ist besonders ein gutes Tief für die Stralsunder geworden.
Denn nachdem der Gellen vor dem Sunde von den Niederländern mit ihrem
Ballast fast vertieft geworden, wäre die Stadt gar verdorben, wenn
sie das neue Tief nicht hätte.
Nicolaus Klempzen, vom Pommerlande, S. 14.
Grümbke, Darstellung der Insel Rügen, I. S. 7.
Stolle, Geschichte der Stadt Demmin, S. 605.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 126