149. Die Grafen von Eberstein bei Retztow.
Vor Zeiten lebte in Sachsen ein vornehmes und mächtiges Geschlecht,
das der Grafen von Eberstein. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
aber wurde Graf Dietrich von Eberstein von dem Herzoge von Braunschweig
mit dem Strange hingerichtet, und seine Söhne mußten in alle
Welt flüchten, und ihre Güter im Stich lassen. Einer von ihnen,
Graf Otto von Eberstein, floh zu seiner Mutter Bruder, einem Grafen von
Gleichen, der damals Bischof von Cammin in Pommern war. Er wurde von diesem
aufgenommen, und der Bischof belehnte ihn im Jahre 1263 mit der Stadt
und Grafschaft Naugard. Zu dieser Grafschaft gehörte auch das Dorf
Retztow, eine Meile südwestlich von Naugard, bei welchem die Grafen
späterhin eine Burg erbauten, welche sie die Wolfsburg nannten. Die
Trümmer dieser Burg sieht man noch jetzt in der Nähe von Retztow.
Die Ebersteiner fingen aber mit der Zeit ein wüstes, gottloses Leben
an, und besonders hatten sie ihre Freude daran, von der Wolfsburg aus,
wo sie oft zum Jagen mit ihren wilden Gesellen zusammentrafen, den Bauern
die Saaten zu verderben. Deshalb stehen sie noch jetzt unter den Bauern
in einem schlechten Rufe, und man sagt, sie hätten keine Ruhe unter
der Erde, und müßten noch immer um die Wolfsburg herum wandern.
Doch sind sie jetzt nicht immer mehr böse, sondern beschenken sogar
manchmal die Leute, mit denen sie zusammentreffen.
So war vor vielen Jahren einmal ein Schäfer in Retztow, der hütete
am Johannistage mit seiner Heerde auf dem sogenannten Hühnenberge,
nicht weit von der Wolfsburg. Auf einmal versank er mit allen seinen Schaafen
in die Erde hinein, daß sie sich über ihm zusammenthat. Unten
kam ihm ein großer Hund entgegen, der ihn an eine Thür führte.
Diese öffnete der Schäfer, worauf er an eine zweite Thür
kam. Als er auch diese geöffnet hatte, befand er sich in einem großen
Saale; in demselben saßen viele vornehme Herren am Speisen. Sie
sahen dem Schäfer so stattlich aus, daß er sie für Fürsten
hielt, obgleich die Leute meinen, daß es die Grafen von Eberstein
gewesen wären, die in diesen Berg hineingebannt seyen. Sie luden
auch den Schäfer ein, mit ihnen zu essen, was er that. Als er sie
darauf aber fragte, wie er aus dem Berge wieder herauskommen möge,
sagten sie ihm, daß er daran vor dem nächsten Johannistage,
mithin vor Ablauf eines Jahrs, nicht denken könne. Also geschah es
auch, und der Schäfer mußte ein ganzes Jahr mit seiner Heerde
im Berge bleiben. Als das Jahr zu Ende war, verehrten ihm die Grafen einen
goldenen Stab; sie sagten ihm aber dabei, daß er niemals wieder
in die Nähe des Hühnenberges kommen solle.
Nicht so gut erging es einem Bauern aus Retztow. Der befand sich eines
Abends bei den Hühnengräbern, die dort auch in der Gegend liegen,
als ihm vier junge Männer begegneten. Der Bauer dachte sich nichts
Besonderes dabei, und sprach sie dreist an. Sie gaben ihm auch freundlichen
Bescheid, und fragten ihn dann, was die Leute in der Gegend von den Grafen
von Eberstein sprächen. Der Bauer, der noch immer nichts Arges dachte,
antwortete ihnen ehrlich, wie man von denen noch immer nichts Gutes rede,
und theilte ihnen auch mit, was sie in früheren Zeiten Alles verübt
haben sollten. Da wurden die vier Männer auf einmal grimmig, faßten
ihn an, und fuhren mit ihm in die Luft hinein, drei Meilen weit. Als sie
ihn nun niedersetzten, waren sie plötzlich verschwunden, und er sah
jetzt drei schwarze Hunde vor sich, die Feuer ausspieen. Der arme Mensch
hat sich vor Schreck kaum wieder nach Hause finden können, wo er
Tags darauf gestorben ist.
Von der Zeit an hat man aber nur noch zwei schwarze Hunde in der Gegend
erblickt, und man glaubt daher, daß der dritte seitdem erlöset
sey.
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 149