266. Die gebannten Glocken.
Nicht weit von dem Dorfe Kirchdorf in der Gegend von Greifswald liegen
zwei Teiche, ein großer und ein kleiner. An der Stelle derselben
haben früher ein Mönchskloster und eine Schmiede gestanden,
nämlich das Mönchskloster da wo der größere Teich
liegt, und die Schmiede da, wo der kleinere ist. Die Mönche haben
aber ein sehr gottloses Leben geführt und besonders auch in der Schmiede
ihr Unwesen getrieben. Da hat es sich denn eines Tages, gerade auf den
Johannistag, begeben, daß das Kloster und die Schmiede plötzlich
versunken sind, und an ihrer Stelle hat man die beiden Teiche gesehen.
Seitdem sind die beiden Glocken von der Mönchskirche, welche mit
versunken waren, alle Jahre auf den Johannistag aus dem Wasser hervorgekommen
und haben sich an das Ufer gelegt, wo sie sich von zwölf bis ein
Uhr Mittags haben sonnen können. Um ein Uhr haben sie aber in die
Tiefe des Teiches zurück müssen.
Das hat so gedauert viele Jahre, bis einmal ein Mädchen aus dem Dorfe
in dem größeren Teiche Zeug gewaschen. Das ist gerade am Mittage
des Johannistages gewesen, als die Glocken sich gesonnt haben. Das Mädchen,
die hiervon nichts gewußt, hat, wie sie das Zeug gewaschen gehabt,
auf einmal die Glocken gesehen, und auf diese, ohne sich dabei etwas zu
denken, dasselbe zum Trocknen gehangen. Das hat nun gewährt bis über
ein Uhr Mittags hinaus, und die Glocken haben daher nicht mehr in den
Teich zurückkönnen, sondern sind an das Ufer festgebannt gewesen.
Da haben sie lange gelegen, und es hat kein Mensch sie von der Stelle
bringen können. Die Bauern von Levenhagen, die damals gerade eine
neue Kirche bauten, wofür sie noch keine Glocken hatten, haben es
versucht, sie für sich zu nehmen, und einen Wagen mit Pferden hingeschickt,
um sie abzuholen. Auf den Wagen haben sie sie auch wohl bekommen können,
weiter aber nicht; denn alle Pferde, die sie davor gespannt, haben nun
den Wagen nicht von der Stelle zu ziehen vermocht.
Zuletzt sind die Bauern von Stoltenhagen gekommen, die auch keine Glocken
in ihrer Kirche hatten. Die haben den Einfall gehabt, einen Wagen mit
Ochsen bespannt hinzuschicken. Und die Ochsen *) haben sie denn auch von
der Stelle ziehen können. Seitdem hängen die gebannten Glocken
im Thurme zu Stoltenhagen.
Mündlich.
*) Ein alter Ochsenhirt erzählte diese Sage, er hatte sie von seinem Vorgänger.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 266