205. Sagen von Gollnow.
Die Stadt Gollnow an der Ihna soll in alten Zeiten eine überaus
große Stadt gewesen seyn, eine der größten Städte
in Deutschland. Der Dammsche See soll bis an die Thore der Stadt gegangen
seyn, und die Leute wollen noch vor wenigen Jahren auf dem Sandmeere nach
der Wiekseite hin große Anker in der Erde gefunden haben. Auf der
anderen Seite soll der Stadtwall da gewesen seyn, wo jetzt ein großes
Moor ist, der Papenort genannt, welches beinahe eine halbe Stunde von
der jetzigen Stadt entfernt ist. Der Thurm von Gollnow ist damals so hoch
gewesen, daß er den Schiffern auf der Ostsee als Leuchtthurm gedient
hat. Die Stadt soll durch viele Feuersbrünste bis auf den Theil zerstört
seyn, der jetzt von ihr übrig ist.
Von dem Ihnafluß, an welchem die Stadt liegt, erzählt man auch
vielerlei Wunderbares. So sagt man, daß die Ihna alle Jahre ihr
Opfer haben müsse. Wenn das nun bald seyn wird, dann hört man
auf ihr in den Nächten vorher ein lautes Juchen und Klatschen. Auch
ein großer Schatz soll in der Ihna liegen, nämlich unterhalb
der Brücke. Er wird von einem großen schwarzen Thiere bewacht,
von dem Einige sagen, es sey ein Hund, der aber, wie Manche versichern,
halb ein Hund und halb ein Kalb seyn soll. Um zwölf Uhr des Nachts
kann man ihn immer sehen. Er geht dann über die Brücke auf die
Wiek, und am Ufer entlang; dann kehrt er zurück über die Brücke,
und geht nun durch die Straßen der Stadt bis auf den Markt. Auf
dem Markte kann man dann oft zu gleicher Zeit einen großen Leichenzug
sehen. Wenn dieser vorüber ist, geht auch der Hund zu seinem Schatze
zurück.
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J.
D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 205