116. Der Name Greifswald.
Man hat viele verschiedene Erzählungen darüber, woher der Name
Greifswald stammen möge, so wie das Wappen der Stadt, welches in
einem Greife besteht. - Einige meinen, es hätten in alten Zeiten,
als der Rykfluß, an welchem die Stadt liegt, schiffbar gewesen,
an der Stelle der jetzigen Stadt viele Seeräuber gewohnt, und weil
nun auf Gothisch ein Seeräuber Grife oder Gripe heiße, so habe
die Stadt davon ihren Namen bekommen. - Andere sagen, in der Gegend, wo
jetzt die Stadt stehe, habe früher ein altes adliges Geschlecht gewohnt,
welches Gripes geheißen, und welches wegen seiner vielen Räubereien
zuletzt ausgerottet sey. Weil nun ein Theil von dem Walde, in welchem
nachher die Stadt erbauet, dieser Familie zugehöret, so habe man
die Stadt Gripeswald, und späterhin Greifswald genannt.
Noch Andere erzählen sich folgende Geschichte: An der Stelle, wo
gegenwärtig die Stadt Greifswald liegt, war vor Zeiten ein großer,
dichter Wald. Rund um denselben war Alles wüst und unbebaut, und
es blühete nur die Gegend um das Kloster Eldena, welches nicht weit
von dem Ausflusse des Ryks in die See liegt. Die Mönche dieses Klosters
wollten dazumal eine Stadt anlegen, die zwar nicht weit von dem Kloster,
aber besser im Lande liegen sollte. Sie schickten daher zu einer Zeit
einige Leute aus, die einen guten Platz für die Stadt suchen sollten.
Diese gingen immer den Rykfluß hinauf, bis sie nach einer Weile
an eine schöne Stelle gelangten, welche ihnen gar herrlich dünkte,
um allda die Stadt anzulegen. Sie begaben sich daher, um den Platz genauer
zu untersuchen, von dem Ufer des Flusses ab, seitwärts in den Wald
hinein, der sich dort befand. Auf einmal fanden sie daselbst auf einem
abgebrochenen Baumstamme ein Nest, in welchem ein großer vierfüßiger
Greif mit einem doppeltem Schwanze saß und brütete. Dies schien
den Abgeordneten des Klosters ein gutes Zeichen zu seyn, und es wurde
nun um so mehr beschlossen, an dieser Stelle die Stadt zu erbauen, welches
auch geschah.
Der Platz, wo man das Greifennest gefunden, ist in dem Theile der Stadt
gewesen, welcher jetzt der Schuhhagen heißt, und welcher bekanntlich
die älteste Gegend der Stadt ist. Hier sind von den ältesten
Zeiten her viele schreckliche Geschichten vorgefallen, und es ist auch
jetzt noch immer nicht sicher daselbst. Früher hat der vertriebene
Greif noch manches Kind da geholt und gefressen. Späterhin hat man
da allerlei fürchterliche Gestalten gesehen. Bald ging des Nachts
ein großes Weib herum mit einem Bunde Schlüssel, womit sie
rasselte, und eine Heerde Ferkel vor sich hertreibend; bald sah man ein
anderes Frauenzimmer mit einer Heerde schneeweißer Gänse. Bald
setzte sich dort ein schwarzer Rappe, manchmal auch ein weißer Schimmel
den Leuten auf die Schultern und drückte sie, daß ihnen das
Blut aus Mund und Nase kam.
Joh. Bugenhagii Pomerania, p. 55.
v. Schwarz, Pommersche Städte-Geschichte, S. 98 folg.
Greifswalder wöchentlicher Anzeiger für 1818, Nr. 37 und mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 116