15. Julin.
Nachdem Wineta zu Grunde gegangen war, zog sich der Handel dieser Stadt
theils nach Wisbi in Gothland, theils nach Julin auf der Insel Wollin,
also daß dieses Julin nun die größte und reichste Stadt
in Europa wurde. Es wohnten und handelten in derselben Leute von den verschiedensten
Nationen, Sprachen und Gottesdienst, als Winithen, Winiren, Heneter, Sunnonen,
Slaven, Wenden, Dänen, Schweden, Gambrivier, Circipaner, Juden, Heiden,
Ruthenier, Griechen und andere Völker mehr. Alle hatten dort Freiheit
zu handeln und zu treiben, wie sie wollten; nur die Christen mußten
sich bei Lebensstrafe heimlich halten. Jede Nation bewohnte ihre eigenen
Straßen, die nach ihren Namen genannt wurden.
Lange Zeit waren die Sitten der Juliner gut und anständig. Auf die
Länge aber wurden sie üppig und schwelgerisch, und einzelne
Völkerstämme wollten eine Tyrannei über die anderen ausüben.
Wegen solcher Gräuel, Laster und Abgötterei wurde die Stadt
zum öftern durch den Zorn Gottes von Blitz und Donner jämmerlich
geplagt. Aber das half zu ihrer Bekehrung nicht. Da zogen nach einer Weile
zuerst die Ruthenier aus, und wanderten in ihr Vaterland Rußland
zurück. Ihnen folgten bald ihre Freunde und Genossen, und stifteten
in Rußland das Herzogthum, das noch jetzt von ihnen Wolhynien genannt
wird. Unter den Zurückgebliebenen entstand hernach Aufruhr und Zerstreuung
der Kaufleute, bis zuletzt der Dänische König Woldemar die Stadt
eroberte und sie bis auf den Grund zerstörte. Dieß geschah
im Jahre 1170.
Die Stadt Julin lag auf der Spitze der fruchtbaren Insel Wollin, an derselben
Stelle, wo jetzt die Stadt Wollin liegt. Aber sie war bei weitem größer
als diese Stadt. Denn man sieht noch Ueberbleibsel von ihren Trümmern
in der Erde, und danach ist sie größer gewesen als eine deutsche
Meile. Die Michaeliskirche, welche jetzt eine gute Strecke weit außerhalb
Wollin liegt, soll früher mitten in der Stadt Julin gestanden haben.
Auch sieht man noch die Castelle, die früher die Stadt gegen die
feindlichen Angriffe umgeben haben, und deren Trümmer auf vier verschiedenen
Bergen in einer weiten Entfernung um die Stadt Wollin von einander liegen.
Diese Castelle haben noch jetzt ihre alten Namen; eins heißt nämlich
Kakernel, eins Moderow, eins de Schloßberg, und das vierte der Silberberg.
Dieser Silberberg ist höher als die anderen drei Berge, und auf demselben
soll ein hohes Schloß gestanden haben. In diesem Berge findet man
auch noch oft unter den ausgebrochenen Fundamentsteinen des alten Castells
allerlei silberne Münzen, und Knochen und Rippen von Menschen, so
groß wie Riesen. Wie groß die Stadt Julin gewesen, kann man
auch noch daraus abmessen, daß ein Berg im Süden der Stadt,
der Galgenberg geheißen, dicht vor dem Thore gelegen hat, daß
man hat mit einem Steine hinwerfen können. Heutiges Tages ist dieser
Berg so weit von Wollin, daß Einer sehr müde wird, der von
der Stadt da hinaus spatziret. Auch kann man sich die Größe
dieser herrlichen Stadt denken, wenn man erwäget, daß der Bischof
Otto von Bamberg im Jahre 1124 allda 22,000 Bürger getauft hat.
In der Gegend der Stadt sollen noch viele Schätze aus der Zeit, als
Julin noch in seiner Herrlichkeit war, vergraben sein. Besonders kommen
oft fremde Schatzgräber hin, die nach einer schweren goldnen Kette
suchen, welche der Rath der untergegangenen Stadt aus dem Lösegelde
eines gefangenen Dänischen Königs soll haben machen lassen.
Sie soll aber nur durch viele Messen, die in Rom, Mainz, und anderen heiligen
Orten gelesen werden müssen, an das Tageslicht gebracht werden können.
Micrälius, Altes Pommerland, I. S. 98.
Gesterding, Pommersche Mannigfaltigkeiten, S. 403-405.
Zöllners Reise durch Pommern und Rügen. S. 91. 92.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 15