253. Der Kalfater oder Klabatermann.
In Pommern erzählt man sich Folgendes: Sobald ein neues Schiff fertig
und von seiner Mannschaft in Besitz genommen ist, zieht in dasselbe auch
ein kleiner Geist ein. Die Schiffer nennen ihn den Kalfater oder Klabatermann.
Er ist ein guter Geist, sowohl für das Schiff als für die Mannschaft.
Gesehen haben ihn nur Wenige, denn es ist ein Unglück für den,
der ihn sieht. Die ihn gesehen haben, sagen, er sey kaum zwei Fuß
groß; er soll eine rothe Jacke, weite Schifferhosen und einen runden
Hut tragen. Andere aber sagen, daß er ganz nackt sey. Je weniger
man ihn sieht, desto öfter kann man ihn im Schiffe hören. Denn
für dieses sorgt und mühet er sich ohne Unterlaß. Er hilft
im Raum die Ballen nachstauchen, er kalfatert das Schiff da, wo kein Mensch
zukommen kann, woher er auch den Namen hat. Wenn der Schiffer in der Kajüte
eingeschlafen ist, das Schiff aber von Gefahr bedrohet wird, dann fühlt
er sich plötzlich vom kleinen Klabatermann angestoßen, daß
er erwacht und auffährt, und nun geschwinde anordnet, was zur Abwendung
der Gefahr nöthig ist. Die Schiffsleute wissen recht gut, daß
dies alles der kleine Kalfater thut. Sie sagen auch nicht anders als:
Hörst du wohl, da ist er wieder! wenn sie ihn unten im Raume oder
draußen an den Planken handthieren hören.
Die Matrosen suchen sich gut mit ihm zu halten; denn den flinken Matrosen
hilft er, wo sie irgend eine Arbeit haben, daß sie frisch und gut
von der Hand geht. Er sorgt dafür, daß die Taue beim Einrahmen
der Segel auch beim schärfsten Winde nicht schlenkern; er erleichtert
ihnen die halbe Arbeit beim Aufhissen der Anker. Und wenn ein flinker
Bursch von einem Schiffe auf ein anderes abgeht, dann giebt ihm der Klabatermann
ein Zeichen mit, woran ihn der Klabatermann des anderen Schiffes kennt,
damit der ihm eben so gut und helfend sey. Die faulen und trotzigen Matrosen
dagegen zwickt und quält er, und thut ihnen allerlei Tort an, bis
sie zuletzt flink und fleißig werden. Und wenn Alles nicht hilft,
so zeigt er sich ihnen zuletzt und schneidet ihnen Gesichter zu. Dann
ist es aber auch aus mit ihnen; denn wer den Klabatermann mit leiblichen
Augen sieht, dessen letztes Stündlein hat geschlagen. Die Matrosen
thun ihm daher Alles zu Gefallen, und setzen ihm oft des Nachts von ihrem
Lieblingsessen hin. Von wem er so etwas annimmt und gegessen hat, dem
ist er gar absonderlich gut.
Besonders laut und rührig ist der Kalfater, wenn Sturm kommt oder
das Schiff sonst in große Gefahr geräth. Man hört ihn
dann an allen Ecken und Kanten; er sorgt für Alles und hilft bei
Allem.
Dieser Geist, wenn er einmal in ein Schiff eingezogen ist, weicht von
demselben nicht wieder, als bis es zu Grunde geht. Wenn er das aber merkt,
und wenn er einsieht, daß trotz aller Mühe und Arbeit das Schiff
nicht mehr zu retten ist, dann verläßt er es endlich. Auch
hierbei zeigt er noch seine Freundschaft für das Schiffsvolk; denn,
da man ihn nicht sehen kann, so steigt er so hoch er kann, und stürzt
sich dann von oben her mit großem Geräusche vom Schiff in das
Wasser, damit man ihn hören könne. Einige sagen, er steige bei
solcher Gelegenheit auf die äußerste Spitze des Boogsprits,
und springe von dort her in die See. Wer ihn aber dort sehe, mit dem sey
es für immer aus.
Wenn nun der Klabatermann das Schiff verlassen hat, dann weiß das
Schiffsvolk, daß es mit demselben ein Ende hat. Es legt jetzt Keiner
mehr Hand an, denn Rettung des Schiffes ist nicht mehr möglich. Jeder
sucht nur sich selbst zu retten, so geschwinde er kann; denn man weiß
auch, daß der Klabatermann bis zum letzten Augenblicke bei dem Schiffe
und bei der Mannschaft aushält.
Manche behaupten, daß nicht jedes Schiff einen solchen Kalfater
habe; sondern daß ein solches Glück nur wenigen Schiffen zu
Theil werde. Denn die Klabatermännchen sollen die Seelen von Kindern
seyn, die todt geboren, oder sonst vor der Taufe gestorben sind. Wenn
solche Kinder nun in einer Haide unter einem Baume begraben werden, und
von einem solchen Baume irgend etwas zu dem Baue des Schiffes verwendet
ist, dann geht mit dem Holze die Seele des Kindes als Klabatermännchen
in das Schiff hinein. Die dies behaupten, sagen auch, daß ein solches
Schiff, das einen Kalfater besitzt, niemalen zu Grunde gehen könne.
Einige sagen, daß man den Klabatermann auch ohne Gefahr zu sehen
bekommen könne. Das muß man auf folgende Weise anfangen: Man
muß nämlich des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr allein
zum Spillloch gehen, und sich selbst durch die Beine durch und so durch
das Spillloch sehen; dann kann man den kleinen Geist erblicken, wie er
an der Vorderseite des Spilllochs steht. Wenn man ihn dann aber nackt
sieht, so muß man sich hüten, daß man nicht, etwa aus
Mitleid, ihm Kleider zuwirft, womit er sich kleiden solle; denn das kann
er nicht vertragen, er wird über solch Mitleid leicht böse,
und meint, man wolle sich dadurch mit ihm abfinden.
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 253