7. Der Liebeskampf.
Es ist schon tausend Jahre her und noch länger, als einst in Polen
ein Herzog lebte, welcher Cracus hieß, und der auch die Stadt Crakau
soll erbaut haben. Dieser hinterließ zwei Söhne und eine Tochter.
Von den Söhnen hieß der Eine Cracus wie der Vater, der andere
Lechus; die Tochter hieß Wenda. Die Regierung sollte nach des alten
Herzogs Tode an seinen ältesten Sohn, den Cracus, fallen; aber Lechus
gönnte sie diesem nicht, und brachte ihn eine Tages auf der Jagd
meuchelmörderischer Weise um. Doch die Polen wollten nun keinen Brudermörder
über sich haben, und gaben das Reich der Wenda. Zu dieser kamen darauf
viele Könige und Prinzen, die sie zur Ehe begehrten; denn sie war
zugleich mächtig, klug und schön. Allein sie wollte lieber Prinzessin
allein sein, als eines Prinzen Weib, und sie schlug alle Anträge
ab, und ließ mit solchen Antworten die Freier von sich.
Das hörte ein Fürst der Rügianer im Pommerlande, Namens
Rütiger, ein gar mächtiger und tapferer Held. Er glaubte die
Fürstin zu gewinnen, und zog aus an ihren Hof und buhlte um sie.
Allein er bekam keinen besseren Bescheid als die Uebrigen. Darüber
ergrimmte der Fürst in seinem Herzen, und da er in großer Liebe
zu der Prinzessin entbrannt war, so brachte er ein ansehnlich Heer auf
die Beine und fiel damit in Polen ein, um mit Gewalt um sie zu werben.
Wenda das Fräulein zog ihm entgegen, gleichfalls mit großer
Heeresmacht, und in ihrem Herzen gelobend, wenn sie den Feind besiegen
sollte, Zeitlebens den Göttern ihre Jungfrauschaft zum Opfer zu bringen.
Als nun aber die beiden Heere gegen einander hielten, da dünkte es
den Pommern schimpflich, daß sie wider ein Weib das Schwert ziehen
sollten, und sie hielten bei ihrem Fürsten an, daß er sich
eines Besseren bedenken möge. Darüber entbrannte der edle Rütiger
dermaßen vor Zorn und Liebe, daß er sein eignes Schwert ergriff
und sich dasselbe durch das Herz stieß. Also zogen die Pommern und
Polen wieder von einander, nachdem sie einen neuen Bund unter sich gemacht
hatten.
Wenda aber, das Fürstenfräulein, hatte von der Stunde an großes
Herzeleid; und als sie wieder in ihr Schloß kam, wollte sie nicht
länger leben, nachdem sich ihrenthalben ein so tapferer Held ums
Leben gebracht hatte. Sie sprang deshalb von der Brücke ihres Schlosses
in die Weichsel, wo sie ihren Tod fand.
Solches ist geschehen bald nach dem Jahre des Herrn 700. Nach Wendas Tode
kamen die zwölf Woiwoden in Polen wieder an das Regiment.
Micrälius, altes Pommerland. I. S. 407.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 7