229. Die beiden Lindwürmer.
Vor langen Jahren haben sich einmal in Pommern zwei gräulich große
Lindwürmer aufgehalten, welche von den Leuten auch Hasselwürmer
genannt wurden. Einer davon hat seinen Sitz gehabt in dem Holze bei Lassahn,
der andere in der Peenemünder Haide. Aus ihren großen Rachen
und aus ihren Schwänzen haben sie Feuer und Schwefel gesprühet,
und die ganze Gegend haben sie durch grausame Räubereien an Menschen
und Vieh in Schrecken und Angst gehalten. Zuweilen hat es sich begeben,
daß sie auf ihren Raubzügen einander begegneten; dann ist unter
ihnen ein fürchterlicher Kampf entstanden, daß aus ihren Schwänzen
ganze Feuerflammen geflogen sind, und die Erde weit umher gezittert und
gebebt hat.
Nachdem sie lange Zeit viel Unheil angerichtet, thaten sich zuletzt die
tapferen Männer der Gegend zusammen, und zündeten eines Tages
von allen Seiten das Schilf an, worin das Ungeheuer bei Lassahn verborgen
lag und gerade seinen Mittagsschlaf hielt. Auf solche Weise gelang es
ihnen, dasselbe zu vertilgen. Es erhob dabei aber ein so fürchterliches
Geschrei, daß der andere Lindwurm auf der Peenemünder Haide
es hörte, und nun sofort unter großem Klage- und Angstgeschrei
die Flucht ergriff. Er warf sich in die See, wo man sein Heulen in immer
weiterer Entfernung hörte, bis er zuletzt ganz verschwand. Einige
sagen, er sey nach Schweden hinübergeschwommen; Andere meinen, er
sey in der Ostsee umgekommen.
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 229