274. Das Mannagras an der Leba.
Im Lande Kassuben, auf den Sumpfwiesen an der Leba, besonders in der Nähe des Dorfes Zezenow, wächst das Mannagras, oder der Schwadenschwengel, aus dessen Körnern die Manna- oder Schwadengrütze bereitet wird. In früheren Zeiten wurde diese Frucht von den Einwohnern der Gegend nicht beachtet. Da kam einstmalen eine alte Frau aus Preußen in das Dorf Ruschitz, die wegen ihrer Armuth von ihren Landsleuten vertrieben war. Die sah das Gras, und erkannte, daß man aus seinen Körnern eine Grütze bereiten könnte, welche weit kräftiger und wohlschmeckender ist, als selbst das Sagomark. Sie belehrte hiervon die Leute, die sie aufgenommen hatten, und diese fingen alsbald an, die Körner einzusammeln. Aber sie haben keinen Segen davon gehabt. Denn die Gutsherrschaft zu Ruschitz, der die Mannagrütze auch gefiel, machte mit ihnen einen Contract, nach welchem sie jährlich eine große Portion von dieser Grütze zu Hofe liefern, oder von ihren Grundstücken weichen mußten. Und da nun heutiges Tages zu Ruschitz das Gras nicht mehr wächst, wohl aber bei den entlegenen Dörfern Zezenow und Charberow, so müssen sie dahin wandern, um ihren Contract zu halten. So sieht man denn alljährlich zu Ende Juni oder zu Anfang Juli, wenn die Gräser auf den Wiesen reif geworden sind, die Einwohner von Ruschitz, besonders die Weiber, alle in Einer Nacht, der Leba zuziehen, um die Körner des Halmes einzusammeln. Es ist ein weiter Weg und eine mühsame Arbeit; und die Leute laufen überdies Gefahr, als Diebe angehalten und bestraft zu werden, weil sie auf fremden Grund und Boden gehen. Allein sie müssen sich das Alles gefallen lassen, damit die Herrschaft sie nicht von ihren Höfen jagt.
Vgl. Pomm. Provinzial-Blätter von Haken, IV. S. 353. folg.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 274