221. Die Zwerge in den neun Bergen.
Auf der Insel Rügen sind allenthalben viele Zwerge. Es sind deren
drei verschiedene Arten, weiße, braune und schwarze. Die weißen
und braunen sind gute und thun so leicht Niemandem etwas zu Leide. Die
freundlichsten von ihnen sind die weißen. Die schwarzen aber, welche
Tausendkünstler sind, taugen nicht viel, sie sind voller Trug und
Schalkheit, und man darf ihnen nicht trauen. Alle diese Zwerge halten
sich besonders gern in den Bergen der Insel auf. Auch in den neun Bergen
bei Rambin sind ihrer viele, aber nur braune, die in sieben, und weiße,
die in den zwei anderen Bergen wohnen. Sie führen dort ein lustiges
Leben, und haben Musik und das schönste Essen und Trinken vollauf.
Sie haben auch viele Menschenkinder bei sich, und sie lieben es, die schönsten
Knaben und Mädchen den Leuten zu stehlen, und sie mit in ihre Berge
zu nehmen, wo sie ihnen dienen müssen. Sie dürfen sie aber nur
bis zu einer gewissen Zeit behalten; denn alle funfzig Jahre müssen
sie das herausgeben, was sie bis dahin eingefangen haben. Dabei ist es
denn merkwürdig, daß den Kindern, die in den Bergen gesessen
haben, diese Zeit nicht voll an ihrem Alter angerechnet wird, und daß
Keiner darin älter werden kann, als zwanzig Jahre, und wenn er auch
volle funfzig Jahre in den Bergen gesessen hätte.
Wem es glückt, von diesen Zwergen etwas in seine Gewalt zu bekommen,
z.B. eine Mütze von ihnen, oder dergleichen, dem müssen sie
dienen, und er kann alsdann ein sehr reicher und vornehmer Herr werden.
Es hat schon Mancher so sein Glück gemacht, und man hat recht artige
Geschichten davon, die hübsch erzählt hat.
E.M. Arndt, Märchen u. Jugenderinnerungen, I.
S. 157-229.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 221