103. Der Priesteraufruhr in Stralsund.
In der Stadt Stralsund war in früheren Zeiten ein Gebrauch, daß,
wenn eine Leiche aus dem Hause getragen wurde, dem Todten keine Vigilien
durften gesungen, sondern diese nur heimlich im Hause mußten gesagt
werden. Dieser Gebrauch hatte folgenden Grund: Im Jahre 1407 machte
der Rath der Stadt Stralsund die Ordnung, daß die damals überaus
großen Begräbnißkosten sollten ermäßigt werden,
zu welchem Ende er denn auch neue kupferne Pfennige schlagen ließ,
die wohl dreimal geringer waren als die alten. Als nun solche schlechte
Pfennige häufig auf den Altar zum Opfer kamen, da wollte der oberste
Pfarrherr, mit Namen Curt Bonov, so adligen Geblütes und ein Licentiatus
und ein hochfahrender Mann war, dieselben nicht annehmen, und er beklagte
sich wegen Schmälerung der geistlichen Gerechtsame bei dem Rathe.
Es ward ihm aber zur Antwort, es stände ja in eines Jeden Gefallen,
was und wieviel er geben wolle, und man müsse die Bürgerschaft
mit den vielen Opfern nicht überhäufen. Darüber wurde der
Zank sehr groß, bis der Kirchherr in seinem Hochmuth und Zorne aus
der Stadt ritt, und denen von Stralsund entsagte, worauf er Viele aus
seiner Freundschaft vom Adel aufbrachte, und damit am Tage Hieronymi des
Jahres 1407 mit drei Fähnlein und dreihundert gerüsteten
Pferden vor die Stadt zog. Diese umschloß er, und er verheerte mit
Feuer und Schwert alle Dörfer und Höfe, die um die Stadt lagen,
und was er an Bürgern draußen fand, dem hieb er Hände
und Füße ab und ließ sie liegen. Und als er nichts mehr
vor der Stadt zu thun sah, stieg er vom Pferde, und tanzte in voller Rüstung,
den Sundischen zum Spotte.
Als der Kirchherr also hausete, da stellten sich seine drei Unterpfarrer,
die in der Stadt geblieben waren, auf den Markt und spotteten der Bürger,
und sagten von dem Feuer, das man von allen Seiten aus den brennenden
Dörfern und Höfen aufsteigen sah: Sehet, das sind die Seelenlichter,
die Euch Euer Kirchherr anzündet; dazu müßt Ihr noch opfern!
Darüber ergrimmte das Volk, und sie jagten die sämmtlichen Pfaffen
der Stadt in ein Haus, pfählten dieses zu, und wollten sie darin
verbrennen. Dem widersetzte sich aber der Rath, den Leuten mit weinenden
Augen vorstellend, daß ja nicht alle diese Priester Schuld an dem
Unglücke der Stadt hätten. Anfangs hörte darauf Niemand,
in die Länge aber wirkte es so viel, daß sie nur die drei spottenden
Unterpfarrer behielten, die andern aber, deren über hundert waren,
los ließen. Jene drei schleppten sie auf den Markt, wo sie ein großes
Feuer anmachten; in dieses warfen sie dieselben, und verbrannten sie zu
weißer Asche, ausrufend: Zu Brand habt Ihr Lust gehabt, nun habt
Ihr Brand bekommen!
Für solchen Frevelmuth erging es den Sundischen sehr schlecht. Denn
der Sache nahm sich der Bischof von Schwerin an; der bewirkte, daß
der Papst zu Rom die Stadt Stralsund in den Bann that, in welchem sie
zu ihrem großen Schaden über 7, oder wie Andere wollen,
über 20 Jahre verblieben ist. Als sie sich endlich aus demselben
auslöseten, mußten sie zur Strafe, nebst Erlegung einer großen
Summe Geldes, ein neues Gewölbe in dem Dome zu Schwerin bauen, und
daran schreiben lassen, daß sie das hätten bauen müssen
um ihrer Missethaten willen. Und dann wurde ihnen zur Strafe angesetzt,
daß zu ewigen Zeiten kein Bischof von Schwerin in der Stadt sollte
Messe lesen, und daß keinem Todten die Vigilien sollten gesungen,
sondern nur heimlich im Hause gesprochen werden, wie oben gesagt ist.
Solche Strafe hat gedauert, bis daß Doctor Martin Luther eine andere
Ordnung gemacht hat.
Kantzow, Pomerania, I. S. 439-444.
Micrälius, Altes Pommerland, I. S. 274. 275.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 103