157. Die Räuber im Gollenberge.
Der Gollenberg hatte in früheren Jahren eine Menge tiefer und dunkler
Waldklüfte, in denen sich lange Zeit hindurch große furchtbare
Räuberbanden aufhielten. Es ist noch jetzt mitten im Gollenberge
eine Vertiefung, welche die Räuberkuhle heißt; in dieser sollen
sie ihr Hauptlager gehabt haben. Das Gesindel hatte sich so furchtbar
gemacht, daß Keiner wagte, es anzugreifen, und daß sie ungescheut
plünderten und mordeten, was ihnen unter die Hände fiel. Da
wurden sie endlich auf folgende wunderbare Weise gefangen:
In der Herberge zu Cöslin langte eines Abends bei großem Unwetter
ein fremder Reisender an, der unter dem Gollenberge hatte herreiten müssen,
und der dabei gar unheimliches Getümmel oben auf dem Berge vernommen
hatte. Er hatte sich deshalben beeilt, die Stadt zu erreichen, und er
zitterte noch und war bleich vor Schrecken, als er in das Gastzimmer trat.
Darüber neckten ihn einige anwesende Gesellen, die sich hinter dem
warmen Ofen und dem Glase Wein wunders wie tapfer und muthig dünkten.
Der Reisende, den solches verdroß, bot ihnen eine große Summe
Geldes an, wenn Einer von ihnen, oder auch sie Alle es wagten, jetzt gleich
auf den Gollenberg zu gehen, und zum Zeichen, daß sie da gewesen,
sein Tuch, das er ihnen hinlegte, um die eiserne Fahne binden würden,
die zum Merkzeichen für die Schiffer auf der Spitze des Berges errichtet
war. Da entfiel aber den Prahlern das Herz, und es hatte keiner den Muth,
das Abenteuer zu bestehen.
Das hörte die Magd des Wirthshauses mit an, die eine muntere, beherzte
Dirne war, und weil sie sehr arm war, so kam ihr die Lust an, daß
sie das Geld verdienen möge. Sie sagte das dem Fremden, der hatte
nichts dagegen, und obgleich alle Andern ihr abredeten, und ihr vorstellten,
wie sie in die Hände der Räuber fallen und dann niemals wiederkehren
werde, so blieb sie doch fest bei ihrem Vorsatze. Sie nahm das Tuch des
Reisenden, und ging nun getrost, ganz allein in dunkler Nacht und in schrecklichem
Unwetter, aus der Stadt hinaus dem Berge zu. Anfangs ging Alles gut. Sie
kümmerte sich nicht um das Heulen des Sturmes, der durch die Eichen
fuhr, und nicht um das Krächzen der Raben und Eulen, die überall
um sie herflogen. Als sie aber die Spitze des Berges erreicht hatte, und
so ganz allein da stand in dem furchtbaren Sturmwinde, in der Nähe
der blutigen Räuberbande, und fern von aller menschlichen Hülfe,
und als auf einmal dicht bei ihr die alte eiserne Fahne anfing zu knarren,
daß es ihr durch Mark und Bein fuhr: da klopfte ihr das Herz, daß
sie es hören konnte trotz dem Heulen des Windes, und sie gerieth
in eine solche Angst, daß sie nur kaum noch zu der Fahne gelangen
und das Tuch herum winden konnte.
In dem Augenblicke aber, als sie das that, hörte sie nahe bei sich
ein lautes Horn, das furchtbare Horn der Räuber, das die Einwohner
von Cöslin nur zu oft in manchen Nächten, wenn das Gesindel
in die Nähe der Stadt gezogen kam, gehört hatten. Da vergingen
der armen Dirne fast die Sinne, und sie sah keine Rettung, wie sie in
der dunklen Nacht und mit ihren, vom Schrecken gelähmten Gliedern
werde entfliehen könne. Auf einmal erblickte sie aber neben sich
ein Roß, das an einen Baum gebunden war. Es war hoch und weiß
von Gestalt, und hatte einen silbernen Zaum. Auf das eilet sie zu und
löset es von dem Baume und schwingt sich hinauf. Und nun jagte sie
vom Berge hinunter, was das Pferd nur laufen konnte. Allein die Räuber
hatten sie schon gewahrt, das Horn hatte sie alle beisammen gerufen, und
auf einmal hörte sie, wie ein großer Haufe auf schnellen Rossen,
die alle silberne Schellen trugen hinter ihr herjagte und immer näher
an sie herankam. Da trieb sie ihr Roß stärker an, und jagte
blind zu, den Berg hinunter. Und als die Noth am größten war,
und die Nächsten hinter ihr schon dicht an ihr waren, da hatte sie
gerade das Stadtthor erreicht, und sie war gerettet. Aber die Räuber
hatten sie in so großer Verblendung und Wuth verfolgt, daß
sie nicht einmal gewahrten, wie sie sich in der Stadt befänden. Das
ward ihr Untergang; denn die muthigen Cösliner schlossen nun geschwind
das Thor hinter ihnen zu, und fingen sie Alle. Am anderen Tage zogen darauf
die Bürger auf den Gollenberg und zerstörten das Raubnest gänzlich.
Sie fanden dort viele Gebeine von Erschlagenen, aber auch viele Reichthümer.
Unter der Beute war auch das große Horn der Räuber. Es war
drei Fuß lang, und von starkem Metall gegossen. Dasselbe wurde zum
Horn des Nachtwächters für die Stadt bestimmt. Als solches thut
es noch bis auf den heutigen Tag in Cöslin Dienste.
Vgl. Pomm. Provinzial-Blätter, I. S. 211-216.
II. S. 4. 6.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 157