181. Der Riesenstein bei Kleptow.
In der Nähe des Dorfes Kleptow unweit Pasewalk liegt auf dem Felde
ein großer Stein, den die Leute den Riesenstein nennen, und von
dem sie sich Folgendes erzählen: Vor alten Zeiten haben in der Nähe
dieses Steines zwei Felsen gestanden. In dem einen hat ein Riese gewohnt,
in dem anderen haben eine Menge kleiner Berggeister ihr Haus gehabt. Der
Riese und die Zwerge lebten mit einander in Streit, und thaten sich gegenseitig
manchen Schabernack an, wo sie nur konnten. Zuletzt machten die Zwerge
unter dem Felsen des Riesen ein Erdbeben, wodurch sie den ganzen Felsen
in Stücke zertrümmerten. Darüber gerieth der Riese in großen
Zorn, und er lauerte auf eine Gelegenheit, wie er den kleinen Berggeistern
wieder Schaden thun könne. Das traf sich bald. Denn kurz nachher
feierten die Zwerge in einem Theile ihres Felsens ein Fest, bei dem sie
alle versammelt waren. Als nun der Riese ihr Singen und Jubiliren hörte,
nahm er ein gutes Stück von seinem zertrümmerten Felsen, und
warf es nach dem Felsen der Zwerge, so daß der Theil, in welchem
diese ihr Fest feierten, davon zerschmettert wurde, und eine ganze Menge
von ihnen im Fallen erschlug. Unter den Getödteten befand sich sogar
ihr König, den sie nach einigen Tagen mit großer Trauermusik
zu Grabe trugen.
Darauf schwuren die Zwerge dem Riesen den Tod, und auch dazu kam bald
die Gelegenheit. Es wohnte nämlich in der Gegend ein Bauer, der eine
schöne Tochter hatte; in diese verliebte sich der Riese, und er begehrte
sie von dem Bauern zum Weibe. Allein der Bauer wollte sie dem ungeschlachten
Heiden nicht geben. Der Riese raubte sie daher mit Gewalt. Nun wandte
sich der Bauer an die Berggeister und bat die um Hülfe. Diese paßten
darauf eine Gelegenheit ab, als der Riese einmal im Felde seinen Mittagsschlaf
hielt. Jetzt nahmen sie ein großes Stück von ihrem zerschlagenen
Felsen; das wanden sie in die Höhe, gerade über dem schlafenden
Riesen, und ließen es dann auf diesen herniederfallen, so daß
er davon zerdrückt wurde, und elendiglich darunter sterben mußte.
Dieses Felsstück, das von der Zeit an liegen geblieben, ist der Riesenstein
bei Kleptow. Man kann darin noch die Spuren von dem Gesichte des Riesen
sehen, welche sich bei dem Herunterfallen darauf eingedrückt haben.
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 181