8. König Schweno von Dänemark und die Wolliner.
Vor Zeiten lebte in Dänemark ein König Namens Harald. Der hatte
einen bösen, ungerathenen Sohn, Schweno. Dieser Schweno warf das
Christentum ab, setzte sich gegen seinen Vater, und vertrieb ihn aus dem
Reiche. Harald flüchtete nach der Insel Wollin in Pommern, und die
Wolliner nahmen sich freundlich seiner an, unangesehen daß er ein
Christ war. Sie rüsteten auch eine große Kriegsflotte aus,
um ihn wieder in sein Land einzusetzen, und zogen damit gegen Schweno,
mit dem sie sich einen ganzen Tag schlugen, also daß es ungewiß
blieb, wer gewonnen hätte oder nicht. Allein sie erreichten ihren
Zweck nicht, weil Schweno am anderen Tage seinen Vater durch einen Dänen
meuchlings erschießen ließ.
Darüber faßte Schweno einen so großen Haß gegen
die Wolliner, daß er großes Volk und viele Schiffe zusammen
brachte und also gegen sie zog. Aber die Wolliner säumten auch nicht,
sondern zogen ihm entgegen, und schlugen und fingen ihn, so daß
er sich lösen mußte mit vielen tausend Mark Goldes. Nicht besser
erging es ihm, als er nach einiger Zeit sich rächen wollte und von
Neuem gegen jene zog. Darüber wurde er nun sehr ärgerlich in
seinem Gemüthe, und obgleich er Frieden hatte zusagen müssen,
so brach er doch sein Versprechen und zog wieder gegen sie, vermeinend,
das Glück werde sich doch einmal auf seine Seite wenden. Allein die
Wolliner waren auch dießmal auf, und kamen ihm zwischen Möne
und Falster entgegen.
Weil sie nun ohne Noth nicht eine Schlacht mit ihm wagen wollten, so ersannen
sie einen Betrug. Der war dieser: Sie wußten, daß die Dänen
des Nachts genaue Wache halten ließen; sie erwählten daher
Etliche unter sich, die gut Dänisch konnten; dieselben schickten
sie mit einem Schiffsboote und befahlen ihnen, sich so zu gebährden,
als wären sie von der Dänischen Schaarwache gekommen um die
Zeit, wenn die Wache pflegt umzuwechseln. Die fuhren dann auf sie, und
kamen unbemerkt zwischen der Wache und den anderen Schiffen durch bis
an des Königs Schiff. Da schrieen sie dem Schiffer zu und sagten,
sie hätten dem Könige etwas Eiliges zu sagen, das heimlich wäre,
er möge das dem Könige anzeigen. Der Schiffer meinte nicht anders,
als es wären Dänen von der Schaarwache, und sorgte, daß
es dem Könige gesagt wurde. Der König meinte auch nicht anders,
als es wären Wächter, die etwas Wichtiges vom Feinde brächten,
und er kam hervor und bückte sich über den Bord seines Schiffes
bis an den Bord des Wollinschen Schiffes hinan, um zu hören, was
sie ihm Heimliches zu sagen hätten. Da ergriffen ihn die Wolliner
bei den Achseln und zogen ihn in ihr Boot, und hielten ihm das Maul zu,
daß er nicht schreien konnte, und ruderten so eilends mit ihm davon
zu ihrer Kriegsflotte. Die Dänen erhoben zwar nach einer Weile ein
großes Geschrei und Getümmel, aber da war es schon zu spät.
Ihr König wurde ungehindert nach Wollin gebracht.
Diesesmal wollten ihn die Wolliner gar nicht wieder in Freiheit setzen,
weil er so schmählich seine Zusage gebrochen. In die Länge gaben
sie aber seinen und seines Volkes Bitten nach; sie forderten jedoch ein
so großes Lösegeld von ihm, als er die beiden vorigen Male
zusammen hatte geben müssen. Das war viel und so viel Geld war in
ganz Dänemark nicht vorhanden. In dieser großen Noth erbarmten
sich die Frauen und Jungfrauen im Reiche über ihn, und sie trugen
all ihr Gold und Silber, Schmuck und Kleinodien herbei, damit er gelöset
werde. Also wurde der König Schweno wieder in Freiheit gesetzt.
Als er nun aber wieder zu dem Reiche kam, da gedachte er der Gutherzigkeit
der Frauen und Jungfrauen, und er gab ihnen ein Privilegium, daß
sie hinführo in allen Lehn- und anderen Gütern gleich den Männern
erben sollten, welches zuvor nicht gewesen war. Auch that er jetzt Buße,
und bekehrte sich zum Christentum.
Th. Kantzow, Pomerania, I. S. 47. 52-55.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 8