246. Sidonia Borken.
Vor ungefähr zweihundert Jahren lebte einmal in Pommern ein adliges
Fräulein aus einem alten und vornehmen Geschlechte, Sidonia von Borke
geheißen. Von der sagen die Leute, daß sie eine arge Hexe
und Zauberin gewesen sey. Einige behaupten zwar, dies sey nicht wahr,
und sie sey unschuldig gewesen, aber es ist doch nicht zu läugnen,
daß sie zu Stettin vor dem Thore als Hexe öffentlich verbrannt
ist. In ihrer Jugend soll sie ganz ausnehmend schön gewesen seyn,
und weil sie auch reich und vornehm war, begab sie sich an den Hof der
Herzoge von Pommern zu Wolgast und Stettin. Schon da soll sie angefangen
haben zu hexen; denn der Herzog Ernst Ludwig zu Wolgast entbrannte dergestalt
in Liebe zu ihr, daß er sie mit aller Gewalt heirathen wollte. Die
Stettinschen Fürsten wollten dies aber nicht zugeben, brachten es
vielmehr zu Wege, daß der Herzog das schönste Fräulein
heirathete, so dazumalen in Deutschland war, nämlich die Prinzessin
Hedwig von Braunschweig. Darüber gerieth Sidonia Borken in einen
großen Zorn, und sie fuhr in ihren bösen Künsten nun dadurch
fort, daß sie die sechs jungen Fürsten, welche in damaliger
Zeit zu Stettin waren, und sämmtlich junge Gemahlinnen hatten, also
verzauberte, daß sie ohne Erben sterben mußten. Darauf ging
sie aus Verdruß in das Jungfrauenkloster zu Marienfließ zwischen
Stargard und Freienwalde in Hinterpommern.
Hier soll sie nun einen sehr ärgerlichen, boshaftigen Lebenswandel
getrieben haben, und sie hat fast nichts gethan, als sich mit Zauberei
abzugeben. Insbesondere hat sie Bekanntschaft gemacht mit einer alten
Zauberin, Wolde Albrechts; von dieser hat sie einen kleinen Zaubergeist,
Namens Chim, gekauft, der ihr nun zu allen ihren Teufelskünsten geholfen.
Derselbe hat für gewöhnlich die Gestalt einer Katze gehabt;
er hat aber auch manchmal sich als ein dreibeiniger Hase mit einem weißen
Ringe um den Hals gezeigt. Sie hat ihn überall hingeschickt, wenn
sie ihre Feinde hat quälen oder ums Leben bringen lassen. So hat
sie ihn auch insbesondere einmal nach dem Dorfe Boek gesandt. Dort war
ein Prediger, Namens Lüdeke, der hatte öffentlich auf der Kanzel
über ihr ärgerliches Leben geschimpft; dafür schickte sie
flugs ihren Chim zu ihm, daß er ihm den Hals umdrehen mußte,
wovon der arme Mann eines gar schrecklichen und erbärmlichen Todes
gestorben ist. Wenn sie nun so Jemanden hat tödten oder martern lassen,
dann hat sie sich die Hände gerieben und den Spruch gethan: So krabben
und kratzen meine Hunde und Katzen! Auch hatte sie immer grüne Besen
kreuzweise unter ihrem Tische liegen, und soll die Gewohnheit gehabt haben,
sich drei Donnerstage nach einander in demselben Wasser zu baden. Wenn
ihr Gesinde zu Bette gegangen, hat sie sich gewöhnlich hingesetzt,
und den Judas-Psalm gebetet. Als ihr Chim auf die Letzt etwas schwach
geworden und nicht Alles, was sie gewollt, mehr hat ausführen können,
hat sie sich von der Wolde Albrechts deren Geist, welcher Jürgen
geheißen, zur Hülfe geben lassen.
Solche Zauberkünste hat sie getrieben, bis sie an die achtzig Jahre
ist alt geworden. Da hat man zuerst die Hexereien der Wolde Albrechts
entdeckt, und diese hat darauf, als man sie auf der Folterbank peinlich
gefragt, auch von der Sidonia Borken Alles bekannt. Man hat sodann auch
diese Letztere vor Gericht gezogen. Anfangs hat sie hartnäckig geläugnet
und sich für unschuldig erklärt. Zuletzt aber, als man auch
sie peinlich gefragt, hat sie alle ihre Gräuelthaten zugestanden,
deren dann eine Menge an den Tag gekommen. Sie ist darauf, im Jahre 1620
vor dem Mühlenthore zu Stettin enthauptet und ihr Körper verbrannt
worden. Man sagt, daß dabei aus dem Scheiterhaufen eine Elster in
die Höhe geflogen sey. Ihre Seele soll man in Gestalt dieses Vogels
noch jetzt oft in der Abenddämmerung vor dem Mühlenthore herumfliegen
sehen.
Selbst während ihres Hexenprozesses hat sie das Zaubern nicht unterlassen
können. So lebten zu damaliger Zeit zwei Herren von Mellenthin, die
reiseten eines Tages zwischen Schlötenitz und Schellin; und wie sie
dabei über den Prozeß der Sidonia Borken sich unterredeten,
erhob sich urplötzlich ein so gräuliches Stürmen und Brausen
in der Luft, daß die Pferde vor dem Wagen sich losrissen und davon
liefen. Sie wurden erst bei Stargard ganz verschüchtert wiedergefunden.
Das Zauberwesen, wodurch sie die sechs Fürsten zu Stettin, und wahrscheinlich
auch deren Gemahlinnen unfruchtbar gemacht, soll sie, ihrem eigenen Geständnisse
nach, in ein Schloß festgeschlossen und dann in den See zu Mariafließ
versenkt haben. -
Viele Leute halten die Sidonia Borken aber auch noch für ganz unschuldig.
Sie soll keifischer und neugieriger Natur gewesen seyn, und dabei abergläubisch,
so daß sie sich gern mit alten Wahrsagerinnen abgegeben. Darum habe
man denn die unwahren Anklagen gegen sie erhoben, daß sie selbst
eine Zauberin sey, welche von ihr nur durch die grausamen Qualen auf der
Tortur mittelst Geständnisses bestärkt worden sind.
Dähnert, Pommersche Bibliothek, Bd. 4.
St. 7. S. 233-251., Bd. 5. St. 4. S. 127-130., St. 5. S. 426-434.
Ferner alle Pommersche Geschichtschreiter, und
Mündlich.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 246