258. Die Vampyre in Kassuben.
Im Lande Kassuben hat es sich, selbst vor nicht gar langer Zeit, zugetragen,
daß zuweilen Kinder mit einer ganz feinen Kopfbedeckung, wie ein
zartes Mützchen, auf die Welt gekommen sind. Das werden sehr gefährliche
Menschen, wenn sie gestorben und begraben sind. Man muß ihnen daher
das Mützchen abnehmen, und es trocknen und sorgfältig aufbewahren.
Und bevor nun die Mutter nach ihren Sechswochen zur Kirche und zum Opfer
geht, muß sie es verbrennen, daß es zu Pulver kann gerieben
werden. Dieses Pulver muß sie dann mit Muttermilch dem Kinde eingeben.
Stirbt nämlich ein solcher mit der Mütze geborner Mensch, bevor
er auf diese Weise die Mütze selbst wieder aufgegessen hat, so entsteht
daraus das schrecklichste Unglück. Er richtet sich im Grabe wieder
auf, und verzehrt zuerst alles Fleisch von seinen eigenen Händen
und Füßen, sammt dem Sterbehemde, das er mit in den Sarg bekommen
hat. Dann steigt er aus dem Grabe heraus und verzehrt nun die Lebenden.
Zuerst sterben seine nächsten Anverwandten, darauf die entfernteren,
Einer nach dem Andern. Wenn er keine Verwandtschaft mehr hat, dann macht
er sich an die Kirchenglocken in seinem Dorfe; die läutet er des
Nachts, und nun muß Alles sterben, so weit der Schall der Glocken
reicht, Jung und Alt, Groß und Klein.
Gegen dieses Elend giebt es alsdann nur Ein Mittel: man muß den
Todten wieder aufgraben, und ihm mit einem Kirchhofsspaten den Kopf abstechen.
Dann hört die Gefräßigkeit auf.
Pommersche Prov. Blätter von Haken, III.
S. 421 folg.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 258