159. Der Raubritter Vichov.
Nicht weit von Uchtenhagen in Hinterpommern sieht man an einer Wiese
einen großen trüben Sumpf. An der Stelle desselben hat früher
ein hoher Berg gestanden, und auf diesem eine feste Burg. In dieser Burg
hat ein mächtiger und grausamer Raubritter, Namens Vichov, gehauset,
der nicht nur der Schrecken aller Kaufleute und Reisenden war, sondern
den auch die gesammte Ritterschaft in der Umgegend fürchtete. Denn
auf seinem starken, auf dem hohen Berge liegenden Schlosse konnte ihm
Niemand etwas anhaben, und er hatte überdies einen übergroßen
Haufen wilden, aber tapferen Gesindels um sich.
Dieser Vichov hatte beständig auf der Zinne seiner Burg Einen seiner
Leute auf Wache stehen; der mußte, wenn sich Jemand nahete, sey
es Ritter, oder Kaufmann, oder sonst ein Reisender, mit einem silbernen
Glöcklein ein Zeichen geben. Dann stürzte Vichov mit seiner
Rotte von der Burg herunter, über die Armen her. Dabei hatte er eine
Gewohnheit, die war folgende: Wer sich ihm widersetzte, der wurde ohne
Gnade niedergestoßen; wer aber sein Leben erhalten wollte, der mußte
ihm fortan dienen. - Den Rittern und Landleuten der Gegend war sein Druck
am Ende unerträglich geworden, und sie thaten sich daher einstmals
ihrer mehr denn zehntausend Mann zusammen, und belagerten ihn in seiner
Burg. Allein er verspottete und verhöhnte sie, und als sie den Mauern
sich naheten, goß er siedendes Wasser, Oel, Blei und Pech auf sie,
also daß er sie zur Hälfte tödtete, und die andere Hälfte
die Flucht nahm. Den Fliehenden setzte er nach, und er nahm Alle, die
er einholen konnte, gefangen. Die sperrte er in einen großen Hundestall,
den er ansteckte, so daß sie sammt und sonders jämmerlich verbrannten.
Nach diesem war er sehr übermüthig geworden, und befahl seinen
Leuten, daß sie ihn als ihren Herrgott ansehen und verehren sollten,
denn er könne auch Alles, was er wolle, wie der liebe Gott. Das war
aber sein Verderben, denn als er desselben Tages mit seinen Genossen zu
Tische saß, und mit ihnen am Zechen war, und nun, Allen unerwartet
das silberne Glöcklein zu läuten anfing, da verzerrte er auf
einmal gräßlich die Augen, seine rothen Haare stiegen ihm zu
Berge, und indem er einen gotteslästerlichen Fluch ausstieß,
versanken unter Donner und Krachen der Berg und die Burg tief in die Erde
hinein, so daß man an ihrer Stelle nur den trüben Sumpf sah,
der noch jetzt da ist.
Dies war am Johannistage. Wenn man an einem Johannistage um die Mittagszeit
an dem Sumpfe vorbeigeht, so kann man tief im Grunde desselben noch jetzt
das silberne Glöcklein läuten hören. Es wahrt sich aber
Jeder davor, denn man sagt, wer das Glöcklein höre, der müsse
noch in demselben Jahre sterben, wenn er nicht mit dem Teufel im Bunde
stehe.
Acten der Pomm. Gesellschaft für Geschichte.
Baltische Studien, II. 1. S. 165. 166.
Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 159