VINETA

Etwa eine Viertelmeile vom Streckelberg, einem Vorgebirge Usedoms, hat vor uralter Zeit eine große, reiche Stadt namens Vineta gelegen. In der Stadt hat alles von Gold und Silber geglänzt. Aber die Leute darin sind gar gottlos gewesen. Sie haben kleine Löcher in den Wänden mit Brot verstopft und ihre Schweine aus goldenen Trögen fressen lassen, und selbst die waren ihnen noch nicht gut genug.

Da beschloss der Herr, die gottlose Stadt untergehen zu lassen, und an einem schönen Sommertage erhob sich plötzlich ein Wetter; die Wellen brachen über die Stadt herein und begruben alles. Nur ein einziger Mann, der fromm war, setzte sich auf sein schnelles Pferd und eilte davon. Die Wogen stürzten hinter ihm her, allein er entkam glücklich nach Coserow und da war er gerettet; sein Pferd aber stürzte auch sogleich tot unter ihm zusammen.

So ist Vineta untergegangen. Aber alljährlich am heiligen Ostermorgen erhebt es sich aus der Flut und tanzt und springt freudig über den Wogen.

A. Kuhn und W. Schwartz, Norddeutsche Sagen, 1848