Von dem Breikeßel.
Mündlich in Springe.
Sieben Meilen hinter Eulenpfingsten lebten vor alter Zeit ein Mann und
eine Frau, aßen und tranken und waren allezeit guter Dinge. Der
Mann aber war ein Müller; nun rathe, was die Frau war. Und sie hatten
eine einzige Tochter, wenn die im Sommer am Bache saß und ihre Füßchen
spülte, kamen alle Fische herbei und sprangen vor Freuden aus dem
Waßer, so schön war sie. Einst wurde eine theure Zeit, und
es kam nur wenig Korn zur Mühle; deshalb hatten sie nichts mehr zu
eßen. Da gieng die Frau eines Tages hin, schüttelte alle Kisten
und Kasten und klopfte alle Säcke aus, that das letzte Salz daran,
kochte einen Roggenbrei und sagte: »Dieß wird die letzte Mahlzeit
sein; wir können uns dann hinlegen und sterben.« Als der Brei
bald fertig war, kam der Mann in die Küche, nahm den hölzernen
Löffel und wollte einmal schmecken. Die Frau verwehrte es ihm, und
als er Gewalt brauchen wollte, nahm sie den Keßel auf den Kopf und
lief davon, daß ihr die Haare um den Nacken flogen; der Mann mit
dem Löffel in der Hand setzte hinter ihr her, und als die Tochter
das sah, nahm sie ihre Schuhe in die Hand und lief hinter dem Vater her.
Und sie kamen in einen Wald, da verlor das Mädchen den einen Schuh,
und während sie den suchte, ohne ihn finden zu können, verschwanden
Vater und Mutter hinter den Bäumen; da setzte sie sich hinter einen
Busch und konnte nicht mehr, so müde war sie, und weinte und wimmerte,
und als sie daran dachte, daß sie ihren einen Schuh verloren hatte,
weinte sie noch viel mehr. Den Schuh aber hatte der Zaunkönig gefunden,
und die Frau Zaunkönigin wiegte ihre Jungen darin. Als sie nun da
so saß und klagte, daß es einen Stein hätte erbarmen
sollen, stand auf einmal eine steinalte Frau vor ihr, die sagte: »Was
fehlt dir, mein Kind?« Das Mädchen antwortete: »Ja, die
Mutter nahm das letzte Mehl und kochte einen Brei davon, da wollte der
Vater schmecken, die Mutter wollte es nicht haben; nun ist sie davon gelaufen
mit dem Keßel auf dem Kopf, und der Vater läuft hinter ihr
her mit dem Löffel in der Hand; und als ich ihnen nachlief, verlor
ich den einen Schuh, und während ich den suchte, verschwanden Vater
und Mutter hinter den Bäumen. Was soll ich nun anfangen? Hätte
ich nur den Schuh wieder!« »Hier hast du einen andern«,
sagte die Frau, griff in die Tasche, holte einen funkelnagelneuen heraus
und setzte hinzu: »Sei ruhig und thu, was ich dir sage, so wird
alles gut! Geh noch ein wenig tiefer in den Wald, da kommst du an ein
großes Haus, das ist ein Königsschloß, da geh hinein;
und wenn sie dir dann viele Kleider vorlegen, seidene, baumwollene und
leinene, und dir sagen, du sollst dir davon eins wählen, so such
dir das schönste seidene aus, und wenn sie dich fragen, warum du
dir das wählst, so antworte: 'Ich bin in Seide erzogen.'« Das
Mädchen bedankte sich und gieng und kam bald an das schöne Schloß,
und als sie hinein kam, und ihr die vielen Kleider vorgelegt wurden, seidene,
baumwollene und leinene, suchte sie sich das schönste seidene aus.
Da fragte sie der König: »Warum wählst du dir denn gleich
ein seidenes?« Sie antwortete: »Ich bin in Seide erzogen«;
eigentlich war sie aber in Linnen erzogen. Nun hatte der König einen
Prinzen, der war zwölf Jahr alt und sollte heiraten, und als die
Müllerstochter in dem seidenen Kleide herein kam, lief es ihm heiß
durchs Herz, und er sagte: »Lieber Vater, wenn ich doch nun einmal
mit Gewalt heiraten soll, so gebt mir die; eine andere nehme ich nun und
nimmermehr!« Des waren alle froh, und die Hochzeit wurde angesetzt.
Eines Tages stand die Braut oben im Saale am Fenster und besah sich die
Gegend, und als sie eben noch hinuntersah, siehe, da lief da ihre Mutter
vorbei mit dem Keßel auf dem Kopf, daß ihr die Haare um den
Nacken flogen, und hinter ihr her lief der Vater mit dem großen
hölzernen Löffel in der Hand; da konnte sie es nicht laßen,
sie mußte laut auflachen. Das hörte der Prinz im Nebenzimmer
und kam herein und sagte: »Schätzchen, was lachst du?«
Sie wollte die Geschichte von ihren Eltern nicht gern erzählen und
antwortete: »Ich lache darüber, daß wir in diesem kleinen
Schloße Hochzeit halten sollen; denn wo wollen hier die vielen Gäste
unterkommen?« Da versetzte der Prinz: »Hast du denn ein größeres?«
Sie antwortete: »Ja, viel größer«; sie hatte aber
eigentlich gar kein Schloß. »Ei,« sagte der Prinz, »so
laß uns die Hochzeit noch acht Tage aufschieben! Wir bestellen dann
alle auf dein Schloß, fahren gleichfalls dahin und feiern dort die
Hochzeit.« Damit gieng er weg, um es dem Vater zu sagen; sie aber
stieg in den Hof hinab und war traurig, denn wo sollte das große
Schloß herkommen? Und als sie da saß und weinte, war auf einmal
die alte Frau vor ihr und sagte: »Was fehlt dir?« Sie antwortete:
»Ich stand gerade oben im Saale am Fenster und besah mir die Gegend,
und siehe, da liefen meine Eltern unten vorbei, und da mußte ich
laut auflachen. Das hörte mein Bräutigam im Nebenzimmer, und
als er kam und sich erkundigte, warum ich gelacht habe, wandte ich vor,
es sei wegen dieses kleinen Schloßes geschehen; ich hätte ein
viel größeres. Nun soll dort die Hochzeit gefeiert werden,
und ich habe doch gar kein Schloß.« »Das hast du doch!«
erwiderte die Alte; »sei nur ruhig und fahre getrost mit hin, und
wenn ihr ein bißchen gefahren seid, springt ein weißer Pudel
aus dem Gebüsch, den du allein sehen kannst; wo der hinläuft,
laß hinfahren.« Damit verschwand die alte Frau, und das Mädchen
gieng wieder in den Saal. Als die acht Tage umwaren, und die Gäste
zur Hochzeit kamen, fuhren sie über die Brücke in den Wald,
und bald sprang ein weißer Pudel aus dem Gebüsch, den das Mädchen
allein sehen konnte, und wohin der lief, ließ sie ihren Wagen fahren,
und die anderen Wagen kamen alle hinterdrein. Als sie eine Zeit lang unterweges
waren, und den Gästen die Zeit lange zu dauern anfieng, fragten sie:
»Sind wir noch nicht bald hin?« Sie antwortete: »Sogleich«,
und in demselben Augenblick stand der Pudel still und verschwand im Gebüsch,
und wo er verschwunden war, stand plötzlich ein großes Schloß
mit hohen Thürmen und hellen Fenstern, und lustig drängte sich
der Rauch aus allen Schornsteinen. »Das ist mein Schloß«,
sagte die Braut, und alle stiegen aus und giengen hinein. Und siehe, die
Tische waren gedeckt, die Betten gemacht, und die Bedienten liefen ein
und aus. Da hielten sie ein halbes Jahr Hochzeit. Und am letzten Tage,
als sie schon eingepackt hatten, um wieder nach dem alten Schloße
zu fahren, und eben zum letztenmal bei Tische saßen, da plötzlich
rannte etwas gegen die Thür, daß sie krachend aufsprang. »Frau
Königin! Frau Königin!« rief eine Frau, die mit einem
Keßel auf dem Kopfe hereinstürzte, »Frau Königin
schützt mich; mein Mann will mich schlagen!« Und der Mann kam
hereingestürmt mit einem hölzernen Löffel und war ganz
wüthend und wollte die Frau schlagen; als er aber die hohen Gäste
sah, ließ er es bleiben. »Das sind meine lieben Eltern!«
sagte die junge Königin, und der junge König freute sich, und
der alte auch, denn sie hatten die schöne Frau über die Maße
lieb; und als diese ihre ganze Geschichte erzählt hatte, mußten
die Bedienten den großen hölzernen Löffel nehmen und jedem
der Gäste einen Löffel voll von dem Brei, dem alle ihr Glück
verdankten, auf den Teller geben, und alle aßen davon und lobten
ihn; der Müller und die Müllerin aber bekamen so viel Wein und
Braten, wie sie nur laßen konnten, und das war sehr viel, denn sie
hatten sich ungemein hungerig gelaufen.
Quelle: Märchen und Sagen aus Hannover,
Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr. 3, S. 14 - 17.