Vom großen Ziegenbock.

Mündlich.

An einem Winterabend saßen im Kruge zu Hüpede vier Männer; unter ihnen war einer, Grüne mit Namen, welcher in Gestorf wohnte und diesen Abend noch dorthin zurück mußte. Sie waren aber sehr betrunken und dachten an nichts, als plötzlich die Glocke zwölf schlug, und der Wirth Feierabend ansagte. Nun taumelten sie hinaus, und die drei Hüpeder riethen dem Gestorfer, nicht mehr nach Haus zu gehen, denn es sei nicht geheuer auf dem Wege; er jedoch erwiderte: "Ich muß noch nach Gestorf, und sollte ich auf einem Ziegenbock hinreiten!" Jene nahmen Abschied, und er machte sich auf den Weg. Als er ein wenig gegangen war, kam er an einen alten Zaun, und an dem Zaune stand ein Ziegenbock, der war so groß wie ein Ochs, hatte einen entsetzlichen feurigen Bart und ganz ungeheure Hörner. Grüne war plötzlich nüchtern vor Schreck, und der Ziegenbock hockte ihn auf, lief mit ihm fort und lief so rasch, daß dem Reiter fast der Athem ausgieng. Doch anfänglich war's noch einigermaßen zu ertragen; bald aber kamen sie in den Wald, und der Ziegenbock sprang immer mitten durch die dicksten Büsche, so daß Grüne gar arg zerrißen und an den Kleidern zerfetzt wurde. Er versuchte auch oft, sich an einem Strauche zu halten; doch alle Mühe, vom Bock auf den Boden zu gelangen, war vergebens. In kurzer Zeit hatten sie den Weg nach Gestorf zurückgelegt und waren bei Grüne's Hause; der Ziegenbock warf den ohnmächtigen Reitersmann ins Vorschauer und war verschwunden. Dieser lag hier eine halbe Stunde lang ohne Bewußtsein; da hörte seine Frau ihn ächzen und stöhnen und führte ihn ins Haus. Seitdem erscheint der große Ziegenbock jede Nacht um zwölf Uhr in Hüpede; manchmal sitzt auch jemand darauf. In der letzten Zeit hat er sich seltener sehen laßen.

Quelle: Märchen und Sagen aus Hannover, Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr. 49, S. 158.