Die hartherzige Haushälterin.

Mündlich.

In Wilkenburg lebte einst eine Haushälterin, die war unerhört hartherzig und ließ die Brodrinden lieber verschimmeln, als daß sie den Armen etwas gereicht hätte; ja, sie trieb es so arg, daß sie die Flehenden mit Hunden vom Hofe hetzte. Es war aber auch eine Magd im Hause, die hatte ein weiches Herz und steckte ihr Brod heimlich, damit jene es nicht merke, hinter die Wäschtonne; am Abend gieng sie dann ins Dorf und theilte es unter die Armen aus. Eines Morgens lag die Haushälterin todt im Bette; und sie hatte keine Ruhe im Grabe, sondern stand jeden Abend hinter der Wäschtonne und sah die Magd traurig an. Diese erzählte es endlich ihrer Herrschaft und erhielt zur Antwort, sie solle die Haushälterin fragen, was sie wolle. Die Magd aber fürchtete sich, und da wurden der Küster und der Pastor geholt. Am Abend stellten sich die drei zusammen an die Wäschtonne, und als es zwölf schlug, kam die Haushälterin. Da fragte die Magd: "Was willst du hier noch?" Jene antwortete: "Ich habe keine Gnade vor Gott, weil ich die Armen nicht gespeist habe; du hast Gnade die Fülle: so laß mich an deiner Gnade Theil nehmen! Willst du das?" Das Mädchen sagte zitternd ja. "Zur Bekräftigung deines Versprechens faße ich hier deinen Schürzenzipfel!" fuhr die Haushälterin fort; und so weit sie ihn angerührt hatte, war er kohlenschwarz. Seit dem Abend kam sie nicht wieder; aber nach vierzehn Tagen war auch das Mädchen todt.

Quelle: Märchen und Sagen aus Hannover, Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr. 50, S. 159.