Die Hexenkunst.
Meklenburgische Jahrbücher 1840.
Ein Knabe will gerne das Hexen lernen. Er geht tief in den Wald; er ruft:
"Wer lehrt mich das Hexen?" - Da kriecht raßelnd durch
das dichte Erlengebüsch ein altes Weib, zahnlos und rothäugig,
schmal in dem gekrümmten Rücken, aber breit im Schoße.
"Komm mit!" spricht sie freundlichst; "das sollst du lernen;
es ist nicht schwer." Er folget. Im Erlenbusche ist eine Hütte;
in diese wird er geführt. Getrocknete Moorerde bilden die Wände,
Schilf das Dach. Drei Kröten hüpfen neben ihm über die
Schwelle; am Herde aber sitzt ein hübsches Mädchen, das Lieschen
heißt. Es wird Abend. Die Hexe greift eine Kröte und setzt
sie auf den Tisch. Wie eine Lampe leuchten die grünen Augen durch
den düstern Raum. Das Mädchen und die Alte hocken am Herde nieder
und langen aus einem Keßel Schwarzsauer zum Abendeßen. Es
sind zerschnittene Menschenglieder. Der Knabe mag nicht eßen, sondern
legt sich zum Schlaf hin. Da zischelt die Alte dem Mädchen zu: "Morgen
früh, ehe die Sonne aufgeht, wecke mich; wir wollen den Knaben schlachten
und einkochen." Gesättigt lagern auch sie sich. In der Nacht
steht das schlaflose Mädchen auf und tritt an des Knaben Lager. Er
war so schön, blau sein Auge, blond sein Haar, roth die Wange. "Lieber
Junge", spricht sie, "der Tod erwartet dich; mich jammert dein;
komm, daß wir fliehen!" Er erhebt sich und geht mit; bedachtsam
spuckt das Mädchen auf die Schwelle. Als sie aus dem Hause treten,
erwacht die Alte und ruft: "Lieschen, stehe auf!" "Ich
bin schon auf", antwortet der Speichel auf der Schwelle; "ruhe
noch ein wenig, bis ich Laub und Holz zum Herde bringe." Sie eilen
von hinnen. Nach einer Weile erwacht die Alte wieder, trauet nicht mehr
den Worten des Speichels, rafft sich auf und sieht die Hütte leer.
Schnell schafft sie sich eine Wolke, nimmt den Besenstiel und reitet nach.
"Ein dicker Rauch kommt hinter uns her", spricht das Mädchen;
"das ist die Hexe. Ich will ein Schlehdorn werden, und du eine Beere."
Die Verwandlung geschieht. Die Hexe steigt aus der Wolke und beginnt sofort
die Beeren zu pflücken und zu eßen, so sauer sie auch sein
mochten. Schon sind alle bis auf eine Beere in der Mitte des Dornbusches
verzehrt. Die langen Finger der Hexe wollen sie pflücken trotz der
vielen Dornen; allein sie fällt ab und in den Busch und vom Busche
in eine nahe Niederung. Hier wird sie Ente, und das Mädchen Waßer.
Vergeblich wirft die Alte mit Erdklößen und ihren Pantoffeln
nach der Ente auf dem Waßer; diese weiß geschickt unterzutauchen
und dem Wurfe auszuweichen. Endlich legt die Hexe sich am Rande des Teiches
auf ihren breiten Bauch nieder, um das Waßer abzutrinken. Schon
ist der größte Theil des Waßers abgetrunken, da platzt
der Alten der dick aufgeschwollene Bauch, und ein schwarzer, stinkender
Qualm, der querfeldein zieht, verkündet ihren Tod. Die Ente wird
wieder Knabe, das Waßer ein Mädchen, beide gewinnen einander
sehr lieb, und als sie groß geworden sind, heiraten sie sich.
Quelle: Märchen und Sagen aus Hannover,
Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr. 69, S. 190 - 191.