Nothfeuer.
Bericht von A. Bruno.
(Aus Colshorn's deutscher Mythologie.)
Ich erzähle als Augenzeuge. - Es mochte im Sommer 1828 sein, als
in Eddesse, Amts Meinersen, mehrfache Viehseuchen grassierten: unter den
Schweinen die Bräune, und unter den Kühen der Milzbrand. Da
nun die angewandten Mittel gegen diese Seuchen nichts vermochten, ward
auf dem Versammlungsplatze, dem sogenannten Brink, von den Bauern großer
Rath gehalten und darin beschloßen, am nächsten Morgen ein
Nothfeuer, welches sich schon vielfach bewährt habe, anzuzünden.
Der Bauermeister befahl darauf Haus bei Haus, den folgenden Tag vor Sonnenaufgang
bei Strafe kein Feuer anzumachen und zum Austreiben des Viehes frühzeitig
bereit zu sein. Am Nachmittage noch wurden die nothwendigen Vorarbeiten
beschafft. In einer engen, durch zwei stehende Planken eingeschloßenen
Straße bohrte der Zimmermeister des Orts ein etwa drei Zoll tiefes
und eben so weites Loch in einen eichenen Plankenpfahl, richtete dann
einen zweiten Pfahl, mit gleichem Loche versehen, ungefähr zwei Fuß
gegenüber auf, passte in die beiden Löcher eine eichene, etwa
vier Zoll im Durchmeßer haltende Welle ein und befestigte an dem
äußeren Pfahle noch einen Hebebaum, um mit diesem die Welle
gehörig einpressen zu können. Gegen zwei Uhr morgens brachte
jeder Hauswirth etwas Stroh und Buschholz mit zur bezeichneten Stelle
und legte es nach vorgeschriebener Weise quer über die Straße.
Die jungen Leute des Orts waren bestimmt, das Feuer anzureiben. Zu diesem
Zwecke legte man um die beschriebene Welle ein neues, langes hanfenes
Seil zweimal herum, und an jedes Ende desselben faßten, wenn ich
noch recht behalten habe, die kräftigsten Junggesellen an, um durch
Hin- und Herziehen des Seils die Welle in rasche Bewegung zu bringen.
Nachdem nun noch die Zapfen der Welle mit Wagenpech und Theer gehörig
versehen, und in unmittelbarer Nähe derselben viele Stoffe, welche
leicht Feuer fangen, als Heede, Werg und aus Leinewand gemachter Zunder,
angebracht waren, gieng die eigentliche Arbeit an. Mit einer wahren Wuth
ward gerißen, es dampfte auch bald; aber wirkliches Feuer wollte
es zum Schrecken aller Umstehenden immer nicht geben. Einige ältere
Leute gaben schon den Rath, durch den Drechsler auf der Drehbank Feuer
anmachen zu laßen - bekanntlich dreht dieser durch Reibung die schwarzen
Ringe auf die sonst noch vielfach verzierten Arbeitsstücke -; andere
sprachen den Verdacht aus, es müße wider Verbot in irgend einem
Hause doch Feuer sein. Da auf einmal verklärten sich alle Gesichter:
die Zündstoffe hatten Feuer gefangen und geriethen bald durch rasches
Schwingen in der Luft in helle Flammen. Hiemit zündete man das zurechtgelegte
Brennmaterial an, und als dasselbe ziemlich niedergebrannt war, eilte
jedermann zu dem bereitstehenden Vieh. Dieses wurde nun mit Gewalt dreimal
durch das Feuer getrieben, zuerst die Schweine, darauf die Kühe und
zum Schluße die Pferde. Die Hirten führten nach dieser Prozedur
das Vieh auf ihre Weide, und die Hauswirthe, namentlich solche, welche
besonders vielen Glauben zum Nothfeuer hatten, nahmen einen abgelöschten
Brand mit in ihr Haus; die Asche aber ward weitum ausgestreut. - Ich bin
in jener Zeit durch mehrere Örter dortiger Gegend gekommen und habe
mehrfach die Spuren, die verkohlten Löcher in alten Zaunpfählen,
von einem Nothfeuer herrührend, wahrgenommen. In jüngerer Zeit
hat man dort, wie ich glaube, keine Nothfeuer mehr angemacht, wenigstens
ist mir darüber nichts bekannt geworden.
Quelle: Märchen
und Sagen aus Hannover, Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr.
82, S. 234 - 236.