Die zwölf ungerechten Richter.
Mündlich in Schliekum.
Vor nicht gar langer Zeit gieng einmal der Küster um Mitternacht
bei Mondenschein über den Kirchhof und hörte in der Kirche einen
Lärm, wie wenn gekegelt würde. Er lief zum Pastor und meldete
es ihm; der aber lachte ihn aus und schickte ihn fort. In der folgenden
Nacht gieng der Küster wieder über den Kirchhof und hörte
denselben Lärm; und dießmal lachte der Pastor nicht, sondern
sagte: "Ich darf nicht aufstehen, denn ich bin noch heiser von gestern;
hört aber morgen Nacht noch einmal zu, und wenn dann wieder im Gotteshause
gekegelt wird, so wollen wir nachsehen." Am dritten Abend war es
richtig gerade wie an den beiden vorhergehenden, und als der Küster
den Pastor geweckt hatte, gieng dieser mit und fand alles so, wie es der
Küster ihm beschrieben. Sie giengen jedoch nicht hinein, sondern
verschoben es auf die folgende Nacht. Da aber war um zwölf Uhr der
Mond noch nicht aufgegangen, und es blieb alles ruhig. Beim nächsten
Mondenschein hörte der Küster denselben Lärm, und als er
den Pastor gerufen hatte, sahen sie durch das Schlüßelloch
und erblickten zwölf schwarz gekleidete Männer, von denen sechs
mit Todtenköpfen kegelten, und die übrigen sechs sich bückten,
als wenn sie Kegel aufrichteten; um eins aber war alles vorüber.
Am folgenden Abend giengen der Küster und der Pastor früher
hin, und da sahen sie denn, wie die zwölf schwarzen Männer um
zwölf einen Sarg hinter dem Altare hervorholten, die Beinknochen
und zwei Köpfe herausnahmen und mit diesen nach jenen kegelten, was
wieder bis ein Uhr dauerte. Da verordnete der Pastor, der Küster
solle da, wo die Kegel gestanden, einen Kreis ziehen, in denselben einen
Stuhl und einen Tisch bringen, auf den Tisch drei Lichter stellen und
zwei Schwerter kreuzweise über einander legen; dann solle er eine
Bibel mitnehmen, sich während der Geisterstunde auf den Stuhl setzen
und im Evangelium St. Johannis lesen. Das that der Küster. Als es
zwölf schlug, kamen die zwölf schwarzen Männer, holten
die Beinknochen und die Todtenköpfe und wollten ihr Spiel treiben;
weil sie aber nicht über den Kreis konnten, stellten sie die Knochen
vor demselben auf und kegelten. Da begab sich's, daß ein Todtenkopf
in den Kreis rollte; und die schwarzen Männer baten den Küster:
"Gieb uns den Kopf heraus!" Der Küster aber erwiderte:
"Wollt ihr ihn, so holt ihn!" und las in der Bibel. Die Männer
baten dreimal dasselbige; der Küster jedoch antwortete nicht wieder.
Als sie es aber zum drittenmal gesagt hatten, schlug es eins, und alles
war verschwunden. Am andern Tage ließ der Pastor den Sarg öffnen,
und da fand sich eine Rolle, auf der stand geschrieben: "Hier ruhen
zwei unschuldige Männer, und diese sind bei Gott; die zwölf
Richter jedoch, die sich haben bestechen laßen, sollen so lange
bei Mondenschein mit den Knochen der beiden Männer kegeln, bis sie
durch Gottes Wort verscheucht werden." Und es geschah also. Wo aber
die Seelen der zwölf ungerechten Richter geblieben sind, das weiß
kein Mensch.
Quelle: Märchen und Sagen aus Hannover,
Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr. 46, S. 149 - 150.