Wurst wider Wurst.
Mündlich in Vahrenwald.
Es war einmal eine Wittwe, die hatte einen Sohn, der hieß Michel.
Zu dem sagte sie eines Tages: "Michel, ich kann dich nicht mehr ernähren,
du mußt aufs Dorf; und wenn du aufs Dorf kommst, mußt du sagen:
'Alle Tage hundert! Alle Tage hundert!'" Michel sprach: "Das
will ich auch." Als er ins Dorf kam, begegnete ihm ein Leichenwagen;
da rief er: "Alle Tage hundert! Alle Tage hundert!" Da kamen
die Träger und prügelten ihn ab. Michel gieng nach Haus und
sagte zu seiner Mutter: "Mutter, ich habe Schläge bekommen."
Die Mutter fragte: "Warum denn?" Michel versetzte: "Als
ich ins Dorf kam, begegnete mir ein Leichenwagen; da rief ich: 'Alle Tage
hundert! Alle Tage hundert!' da kamen die Träger und prügelten
mich ab." "Hast es schlecht gemacht", erwiderte die Mutter,
"hättest weinen müßen und die Hände ringen."
"Das kann ich noch thun", versetzte Michel. - Als er wieder
ins Dorf kam, begegnete ihm ein Hochzeitswagen; da setzte Michel sich
hin und weinte und rang die Hände, und da kamen die Beiständer
und prügelten ihn ab. Michel gieng wieder nach Haus und sagte zu
seiner Mutter: "Mutter, ich habe wieder Schläge bekommen!"
"Warum denn nun wieder?" fragte die Mutter. "Ja",
sagte Michel, "als ich ins Dorf kam, begegnete mir ein Hochzeitswagen;
da setzte ich mich hin und weinte und rang die Hände; da kamen die
Beiständer und prügelten mich ab." "Hast es schlecht
gemacht", erwiderte die Mutter, "hättest tanzen müßen
und rufen: 'Hier ist Lust und Freude! Hier ist Lust und Freude!'"
"Das kann ich noch thun", versetzte Michel. - Als er wieder
ins Dorf kam, brannte gerade ein Haus; da lief Michel hinzu und tanzte
und rief: "Hier ist Lust und Freude! Hier ist Lust und Freude!"
Da kamen die Männer und prügelten ihn ab. Michel gieng wieder
nach Haus und sagte zu seiner Mutter: "Mutter, ich habe wieder Schläge
bekommen!" "Warum denn nun schon wieder?" fragte die Mutter.
Michel sagte: "Als ich ins Dorf kam, brannte ein Haus; da lief ich
hinzu und tanzte und rief: 'Hier ist Lust und Freude! Hier ist Lust und
Freude!' da kamen die Männer und prügelten mich ab." "Hast
es schlecht gemacht", erwiderte die Mutter, "hättest einen
Eimer Waßer nehmen und löschen müßen." "Das
kann ich noch thun", versetzte Michel. - Als er wieder ins Dorf kam,
stand da ein Wagen voll Bienen; da nahm er einen Eimer Waßer und
goß ihn zwischen die Bienen, und da kam der Bienenvater und prügelte
ihn ab. Michel gieng wieder nach Haus und sagte zu seiner Mutter: "Mutter,
ich habe wieder Schläge bekommen!" "I, warum denn nun wieder?"
fragte die Mutter. Michel antwortete: "Als ich ins Dorf kam, stand
da ein Wagen voll Bienen; da nahm ich einen Eimer Waßer und goß
ihn zwischen die Bienen; da kam der Bienenvater und prügelte mich
ab." "Hast es schlecht gemacht", erwiderte die Mutter,
"hättest sagen müßen: 'Für meine Mutter auch
'n süßen Happen! Für meine Mutter auch 'n süßen
Happen!'" "Das kann ich noch thun", versetzte Michel. -
Als er wieder ins Dorf kam, wurde gerade Mist aufgeladen; da gieng Michel
hin und sagte: "Für meine Mutter auch 'n süßen Happen!
Für meine Mutter auch 'n süßen Happen!" "Den
sollst du gerne haben", sprachen die Leute, "halt nur die Mütze
auf." Da gaben sie ihm die Mütze bis oben voll. Michel gieng
nach Haus und rief: "Mutter, Mutter, was hab' ich hier! Mutter, Mutter,
was hab' ich hier!" Da nahm ihn die Mutter und prügelte ihn
ab.
Quelle: Märchen
und Sagen aus Hannover, Carl und Theodor Colshorn, Hannover 1854, Nr.
19, S. 62 - 63.